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Kunststoffe helfen dabei, CO₂ einzusparen und Ressourcen zu schonen

Interview
Lesedauer 4 min
01. April 2024

Sie stecken Schläge und hohe Temperaturen weg, sind leicht und lassen sich in alle möglichen Formen bringen: Hochleistungskunststoffe spielen in vielen Produkten eine wichtige Rolle. Dr. Ralf Düssel, Head of Sustainability bei Evonik und Vorsitzender von Plastics Europe Deutschland, über die Vorzüge des Materials – und darüber, wie man es künftig noch konsequenter wiederverwerten kann

Bernd Kaltwaßer
Autor Bernd Kaltwaßer

Promovierter Biologe und Redakteur der ELEMENTS

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Autor Christian Baulig

Journalist und Volkswirt

Herr Düssel, bei Kunststoff denken viele heutzutage an Mikroplastik in Lebensmitteln oder den Müllstrudel im Pazifik. Sie sehen in Kunststoff vor allem einen nachhaltigen Werkstoff. Warum?

Die meisten Menschen haben kein Problem mit Kunststoffen an sich. Sorge bereitet ihnen jedoch der unachtsame Umgang damit, insbesondere bei Einwegprodukten. Wir brauchen Kunststoffe, um die großen Herausforderungen zu lösen, mit denen wir heute konfrontiert sind – sei es bei der Wärmeisolierung von Häusern, modernen Mobilitätskonzepten, der Digitalisierung oder beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Kein Windrad dreht sich ohne Kunststoffe. Kein Zug fährt ohne Kunststoffe. Kein Mobiltelefon funktioniert ohne Kunststoffe. Kunststoffe helfen uns dabei, Produkte kleiner und robuster zu machen. Das spart in vielen Fällen CO2 ein und schont Ressourcen. Im Vergleich zu Glas, Metall oder Holz wiegt Kunststoff weniger, ist einfacher zu verarbeiten und in vielen Anwendungen langlebiger.

Welche Rolle spielen hier Hochleistungskunststoffe?

Sie werden überall dort eingesetzt, wo man mit Standardkunststoffen wie Polyethylen oder PET nicht weiterkommt – zum Beispiel bei der Herstellung kleiner und beweglicher Bauteile oder bei Produkten, die besonderen Umwelt- und Witterungsbedingungen oder hohen thermischen und mechanischen Belastungen ausgesetzt sind. Wir finden diese Hochleistungskunststoffe selten in Verpackungen, aber häufig in Maschinen und Elektrogeräten, in Möbeln und hochwertigen Designobjekten. Polyamid 12 wird unter anderem in der Automobilproduktion und in der Fertigung von Konsumgütern eingesetzt. Mit dem 3D-Druck kommen für Pulver oder Filamente aus diesem Hochleistungspolymer ganz neue Anwendungsbereiche hinzu. 

Was macht einen Kunststoff überhaupt zum „Hochleistungskunststoff“?

Je spezifischer die Eigenschaften eines Materials sind, desto anspruchsvoller ist es in der Herstellung und desto kleiner ist die produzierte Menge. Während Jahr für Jahr etwa mehrere zehn Millionen Tonnen des Standardkunststoffs Polypropylen hergestellt werden, sind es nur wenige Tausend Tonnen Polyetheretherketon (PEEK). In der berühmten Kunststoffpyramide bilden die Standardkunststoffe die Basis und Hochleistungskunststoffe die Spitze. Dazwischen befinden sich die technischen Kunststoffe wie Polyethylenterephthalat, das wir aus PET-Flaschen kennen. 

Warum sind diese Spitzenmaterialien für Forscher so interessant?

Weil sie sich passgenau für bestimmte Anwendungen entwickeln lassen. Haben Kunden sehr spezifische Anforderungen, bieten häufig Hochleistungskunststoffe die geforderten Eigenschaften. So müssen Batterieverkleidungen für Elektrofahrzeuge besonders leicht und hitzebeständig sein. Zudem sollen sie die Batterie, etwa im Fall einer Kollision, bestmöglich vor Schäden schützen. Ein anderes Beispiel: Seit den 1970er-Jahren ist der Anteil von Kunststoffen in Flugzeugen von 4 auf rund 50 Prozent gestiegen – auch deshalb verbrauchen die Maschinen heute weniger Kerosin und fliegen länger. Materialien zu entwickeln, die solch anspruchsvolle Anforderungen erfüllen, ist äußerst spannend.

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Ralf Düssel sieht in der Zukunft vielfältige Einsatzmöglichkeiten für Kunststoff

Welche Anwendung beeindruckt Sie persönlich am meisten?

Ein wichtiges Einsatzgebiet dieser Materialien ist die Medizin. Erst im vergangenen Jahr wurden den ersten Patienten vollständig 3D-gedruckte Wirbelsäulenimplantate aus PEEK eingesetzt. In Europa gibt es die ersten Kliniken, die für Menschen, die sich bei einem Unfall schwere Kopfverletzungen zugezogen haben, individuelle Schädeldeckenimplantate selbst drucken. Oder denken Sie an Kinder, für die im 3D-Drucker maßgeschneiderte Prothesen entstehen, die kaum etwas wiegen und ihnen wieder mehr Bewegung ermöglichen. Diese Lösungen verbessern die Situation von Patienten enorm und unterstützen unmittelbar ihre Genesung. 

Welche Rolle spielt die Kombination von Hochleistungskunststoffen mit 3D-Druck? 

Maßgeschneiderte Anwendungen werden immer wichtiger – und genau dort spielen Hochleistungskunststoffe ihre Stärke aus. Mit ihnen lassen sich sehr flexibel kleine Stückzahlen produzieren. Das bedeutet, Ersatzteile, die nicht mehr verfügbar sind, können individuell im 3D-Drucker angefertigt werden. Das wird helfen, hochwertige Produkte und Maschinen leichter und kostengünstiger zu reparieren. Das Recht auf Reparatur wird künftig immer mehr Bereiche der Industrie betreffen, und Hochleistungskunststoffe können da einen wichtigen Beitrag leisten.

Wird es in den kommenden Jahren völlig neue Materialien geben, aus denen sich Hochleistungskunststoffe herstellen lassen? 

Für Forscher ist es bestimmt eine spannende Zeit um auf diesem Gebiet tätig zu sein. Es kommen immer wieder neue Anforderungen, die sich mal mit einem Monomaterial, mal mit einem Verbundwerkstoff lösen lassen werden. 

In den vergangenen Jahren haben wir jedoch kein völlig neues Monomer gesehen, das in industriellem Maßstab eine Rolle spielt. Woran liegt das?

Es gibt durchaus immer wieder Ideen für neue Monomere. Auch Evonik testet regelmäßig neue Materialien. Aber die Hürden, die ein gänzlich neues Material in Bezug auf seine Skalierbarkeit nehmen muss, sind hoch. Für Kunststoffverarbeiter geben Faktoren wie spezifisches Gewicht, Preise und Verfügbarkeit sowie CO2-Fußabdruck und Kreislauffähigkeit den Ausschlag bei der Materialwahl. Viele Anforderungen lassen sich mit den heute verfügbaren Hochleistungskunst stoffen oder Verbundwerkstoffen prinzipiell schon umsetzen. Wenn ein neues Monomer dann nur in einer sehr speziellen Anwendung einen entscheidenden Vorteil bringt, ist der Markt häufig zu klein, als dass es sich kommerziell durchsetzen könnte. 

Hochleistungskunststoffe sind vergleichsweise teuer. Laufen sie Gefahr, von weiterentwickelten Standardkunststoffen verdrängt zu werden?

Bessere Additive und Fortschritte in der Verarbeitung haben die Leistungsfähigkeit von Standardkunststoffen tatsächlich verbessert. Fassen Sie zum Beispiel heute ein Stück Kunstleder an, können Sie es kaum von echtem Leder unterscheiden. Werden besonders hohe Anforderungen an Beständigkeit und Belastbarkeit gestellt, kommt man um Hochleistungskunststoffe jedoch nicht drum herum. In vielen Anwendungen spielen thermische und elektrische Isoliereigenschaften eine große Rolle. Der Einsatz in Automobilen erfordert Crashresistenz und Radardurchlässigkeit für die Sensorik. Im Anlagenbau sind geringe Materialermüdung, Chemikalien- und Röntgenstrahlenresistenz entscheidend. Und in der Prothetik kommt es auf Biokompatibilität, Biostabilität und knochenähnliche mechanische Eigenschaften an. Das alles erfüllen nur Hochleistungskunststoffe.

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3D-gedrucktes Bauteil, das in Robotergreifern zum Einsatz kommt

Wie lässt sich die Nachhaltigkeit von Kunststoffen weiter verbessern? 

Wichtig ist, den gesamten Lebenszyklus eines Produkts in den Blick zu nehmen. Das fängt beim Design an: Produkte müssen so gestaltet werden, dass sie in der Herstellung möglichst wenig Material benötigen und sich am Ende des Lebenszyklus unterschiedliche Materialien einfach voneinander trennen lassen. 

Das Problem der Entsorgung bleibt aber auch bei sparsamstem Produkteinsatz.

Es ist essenziell, Kunststoffabfälle konsequent zu sammeln und diese in den Kreislauf zurückzuführen. Hochleistungskunststoffe werden jedoch oft in kleinen Margen hergestellt und in langlebigen Produkten wie Autos oder großen Maschinen verarbeitet. Es ist also nicht leicht, das Material nach Ende der Lebensdauer dieser Produkte zurückzuführen und wiederzuverwerten. Für mechanische Recycler lohnt es sich bislang selten, Hochleistungskunststoffe auszubauen und sortenrein zu sortieren. Daher landen diese Kunststoffabfälle bislang noch viel zu oft in der Verbrennung. Das müssen wir ändern!

Wie könnte das gelingen? 

Es gibt mehrere Stellen, an denen man ansetzen kann. Einige Kunststoffhersteller arbeiten an Wiederverwertungssystemen. Sie bieten zum Beispiel für jedes sortenreine Kilo Material, das abgeliefert wird, einen Rabatt bei der nächsten Bestellung. Chemisches Recycling bietet eine weitere Möglichkeit: Damit ist es möglich, auch gemischte und verunreinigte Hochleistungskunststoffe in ihre chemischen Bestandteile zu zerlegen und zu neuen Rohstoffen umzuwandeln. Auch digitale Produktpässe und sogenannte Tracing-Technologien können helfen, Hochleistungskunststoffe in automatisierten Sortieranlagen KI-gesteuert zu erfassen und sortenrein zu trennen.

Sind Abstriche bei der Leistungsfähigkeit nötig, damit Kunststoffe leichter recycelt werden können?

Wenn besondere Leistungen gefragt sind, kommen heute manchmal Verbundkunststoffe zum Einsatz oder Materialien, deren Eigenschaften mit Additiven verbessert wurden. Für solche Hochleistungskunststoffe braucht es spezielle Recyclingverfahren, an denen bereits gearbeitet wird. Leistungsfähigkeit ist kein Widerspruch zu Recyclingfähigkeit. Wir müssen weiter intensiv forschen, um etwa Verbundmaterialien durch neue, sehr leistungsfähige Monokunststoffe zu ersetzen. 

Eignen sich Recyclate oder alternative Rohstoffe als Basis für Hochleistungskunststoffe?

Ja. Kunststoffe, die aus chemisch recycelten Materialien hergestellt werden, haben die gleiche Qualität und Materialeigenschaften wie Neuware aus fossilen Rohstoffen. Und natürlich kann der Kohlenstoff, der für die Herstellung von Hochleistungskunst stoffen benötigt wird, auch aus Biomasse und CO2 gewonnen werden. Schon heute bestehen in der EU 19,5 Prozent aller neu hergestellten Kunststoffe aus zirkulären Rohstoffen, und der Anteil wird weiter zunehmen. Auch Evonik hat ein breites Portfolio an Hochleistungskunststoffen, die bereits teilweise oder vollständig auf Biomasse basieren. Wir setzen dabei auf das Massenbilanzsystem ...

... bei dem biobasierte Rohstoffe nicht direkt zum Einsatz kommen, aber über eine Zertifizierung sichergestellt wird, dass dem System insgesamt eine entsprechende Menge zugeführt wurde. Warum dieser Weg?

Weil wir so auch kleine Mengen biobasierter oder recycelter Rohstoffe direkt nutzen können. Denn noch sind die verfügbaren Mengen häufig so klein, dass sich eine separate Anlage oder Produktionslinie damit gar nicht betreiben ließe. 

Welches Produkt aus Kunststoff fehlt Ihnen noch in Ihrem Leben?

Ich freue mich auf die Flugtaxis und hoffe, dass sie möglichst bald kommen – eine neue Möglichkeit der Mobilität zum Beispiel dank Hochleistungskunststoffen in den Rotoren.