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Zeit, dass sich was dreht

In einem Renault Twizy testen Forscher der TU München die Kunststoffzahnräder. Sogenannte Microcars sind prädestiniert für den Einsatz von Leichtbauwerkstoffen.
Lesedauer 7 min
29. März 2024

Zahlreiche Elemente im Auto sind bereits heute aus Kunststoff gefertigt. Bei Getriebebauteilen vertraute man jedoch bislang auf Stahl. An der TU München will man mit Zahnrädern aus Hochleistungskunststoff nun eine neue Einsatzmöglichkeit schaffen – und damit auch die urbane Mobilitätswende vorantreiben.

Tom Rademacher
Von Tom Rademacher

Freier Journalist in Köln

Vorbote einer neuen Zeit

Forschen an den Antriebssträngen der Zukunft - wie das aussieht, zeigt unser Video.

Fahrzeug Twizy fährt auf einer Straße

Ein Zwerg zirkelt in Garching bei München durch den Nieselregen: Der elektrische Kleinstwagen vom Typ Renault Twizy kreist im Dienste der Forschung um Gebäude der Technischen Universität München (TUM). Auf die Straße darf er noch nicht. Sein Getriebe ist erst ein Prototyp. TUM-Wissenschaftler haben darin versuchsweise Kunststoffzahnräder verbaut, wo sonst nur Stahl ineinandergreift. Ein spezielles Material von Evonik macht das möglich.

Ziel des vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) geförderten Forschungsprojekts ist die „Entwicklung und Berechnung eines Leichtbaugetriebes für urbane Elektrokleinstfahrzeuge unter Verwendung von Hochleistungskunststoffverzahnungen“. Neben der TUM und Evonik ist auch das Unternehmen Werner Bauser daran beteiligt, ein mittelständischer Spezialist für das präzise Herstellen von Kunststoffzahn rädern. Die Troika will das Material als alternativen Werkstoff für Getriebe kleiner Elektrofahrzeuge ertüchtigen. Möglichst praxisnah wollen sie beweisen, dass es den Antriebskräften auf Dauer standhält und das Fahren zugleich spar samer und leiser macht. Als Demons trator dient der Twizy mit etwas weniger als 13 Kilowatt Spitzenleistung und 80 Kilometer pro Stunde Spitzengeschwindigkeit. 

„Die Leistungsklasse dieser elektrischen Microcars ist prädestiniert für Getriebe auf Kunststoffbasis. Beides – Microcars und Kunststoffkomponenten im Antriebsstrang – kann eine Schlüsselrolle spielen, wenn wir in Zukunft lebenswerte Städte mit nachhaltiger Mobilität wollen“, erklärt Dr. Karsten Stahl, Professor für Maschinenelemente an der TUM und Leiter der Forschungsstelle für Zahnräder und Getriebesysteme, FZG.

ZWERGE MACHEN MOBIL

Vierrädrige Ein- und Zweisitzer bis 15 Kilowatt Motor-leistung wie der Renault Twizy gehören zur EU-Fahr-zeugklasse L7e. Diese sogenannten Microcars sind für die Stadt gemacht. Eine McKinsey-Studie von 2022 prophezeit, „Minimobilität“ mit Fahrzeugen in der Nische zwischen E-Bike und Pkw werde „das nächste große Ding“. Der Weltmarkt könne bis 2030 auf rund 100 Milliarden US-$ wachsen. Der große Durchbruch wird den Microcars nicht zum ersten Mal vorausgesagt. Noch sieht die Realität anders aus: In Deutschland kamen im vergangenen Jahr auf insgesamt knapp 2,9 Millionen Neuzulassungen gerade einmal 1.487 Microcars. Macht einen Anteil von 0,05 Prozent. Nationale Klimaziele und kommunale Initiativen für verkehrsberuhigte Städte könnten jedoch als Turbolader für die Elektrozwerge wirken. Eine Gruppe europäischer Hersteller hat sich 2023 in der Microcar Coalition vereint, um offensiv für staatliche Förderung und Privilegien in Städten zu werben. Mittlerweile haben Marken wie Opel und Citroën sowie einige Start-ups und chinesische Hersteller Microcars auf die Straße gebracht. Renault hat zwar die Produktion des Twizy nach gut zehn Jahren und weltweit rund 33.000 verkauften Exemplaren im vergangenen Jahr eingestellt, steigt aber mit dem Nachfolger Duo ins Carsharing-Geschäft ein.

BLINDER FLECK DER WISSENSCHAFT

Die FZG widmet sich seit mehr als 70 Jahren der Forschung rund ums Zahnrad. Viele international gültige Richtlinien und Industrienormen sind hier entstanden. In den Institutsräumen laufen knapp 100 Prüfstände parallel – häufig nachts, wenn es niemanden stört. Vom einzelnen Zahnrad bis zum kompletten Turbofan-Getriebe für Flugzeugturbinen wird hier so ziemlich alles auf die Härteprobe gestellt. Forschungsaufträge kommen auch von Autokonzernen und Zulieferern, die noch das letzte Quäntchen Effizienz aus ihren Getrieben herausholen wollen.

„Mehr Maschinenbau geht gar nicht“, sagt Stahl über diese Arbeit. Und fügt hinzu: „Den Trend zum Kunststoffzahnrad haben viele Wissenschaftler jahrzehnte lang unterschätzt. Dabei sind Kunststoffzahnräder längst überall im Einsatz und meist in der Überzahl – auch im Auto: Kraftstoffpumpe, Ölpumpe, Scheibenwischer, Fensterheber, Sitzverstellung, Lüftung und vieles mehr wird durch Kunststoffteile in Bewegung gebracht. Logisch: Zahnräder aus dem Material sind nicht nur günstiger herzustellen, sie sparen auch Gewicht und laufen verlustärmer, weil weniger Masse in Bewegung versetzt wird und die Oberflächen besonders gut gleiten. Obendrein schlucken sie Vibrationen, was sie besonders leise macht. Nur im Antriebsstrang des Autos, wo große Drehmomente, chemisch aggressive Schmierstoffe und hohe Temperaturen vorherrschen, regiert noch der Werkstoff Stahl. Aber auch diese Bastion bröckelt.

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»Den Trend zum Kunststoffzahnrad haben viele Wissenschaftler jahrzehntelang unterschätzt.«

KARSTEN STAHL PROFESSOR FÜR MASCHINENELEMENTE AN DER TU MÜNCHEN

KNACKPUNKT GETRIEBE

So setzt Mercedes-Benz seit 2022 in seinen Serienmodellen Kunststoffzahnräder in Massenausgleichsgetrieben ein. Solche Getriebe kompensieren Schwingungen des Motors und sorgen für mehr Laufruhe. Weil die Zahnräder mit heißem Motoröl in Kontakt kommen, waren sie früher immer aus Stahl. Bei Mercedes bestehen sie jetzt aus Vestakeep 5000G, einem hitzestabilen Hochleistungskunststoff von Evonik, der die ganze Baugruppe effi zienter und außerdem vibrationsärmer macht. Mit diesem Material geht das Forschungsprojekt am FZG nun einen Schritt weiter. „Wir verwenden Kunststoff hier erstmals direkt im Antrieb zur Kraftübertragung“, sagt Professor Stahl. „Das ist absolut neu.“

Stahl zitiert aus einem Papier der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Produktentwicklung, wonach stete technische Evolution die Getriebetechnik pro Jahr um rund vier bis fünf Prozent kompakter, effizienter und leiser machte. Die Rede ist von einer Art mooreschem Gesetz für Maschinenelemente. So wie in der Halbleitertechnik über Jahrzehnte die Prozessordichte von Mikrochips regelmäßig zunahm, steigt auch die Leistungsfähigkeit von Getrieben kontinuierlich. „Hochleistungskunststoffe ermöglichen es, diese Entwicklung weiter fortzuführen“, sagt Stahl.

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Um das Zahnrad aus dem Evonik-Kunststoff Vestakeep im Getriebe unterzubringen, musste das Gehäuse entsprechend verbreitert werden.

Mit dem Twizy-Getriebe hat man sich bewusst ein simpel gestricktes Demonstrationsobjekt ausgeguckt: Das zweistufige Getriebe im kleinen Stromer ist nicht schaltbar und besteht aus nur vier Zahnrädern. „Ziel war es, eine Übersetzungsstufe in einem Serienfahrzeug mit Kunststoffzahnrädern zu realisieren und ansonsten möglichst wenig zu verändern“, erklärt Stahl. Die beiden Zahnräder der ersten Stufe wurden ersetzt. Jene der zweiten Stufe, wo das Drehmoment größer ist, blieben aus Stahl. Weiteres Zugeständnis: Um die Kraft auf größerer Fläche zu verteilen, sind die Kunststoffzahn räder etwa doppelt so breit wie ihre metallenen Pendants. Dafür wurde das Gehäuse um zwei Zentimeter verbreitert.

Nach ausführlichen Computersimulationen hat die FZG drei Prototypen solcher modifizierten Getriebe gebaut. Eines läuft im Fahrzeug, zwei weitere sind auf einem eigens dafür entwickelten Prüfstand gegeneinander verspannt. „So können wir die Getriebe mit einem definierten Drehmoment gegeneinanderlaufen lassen und von äußeren Faktoren isoliert untersuchen“, erklärt Stefan Reitschuster, während er mit seinem Kollegen Nicolai Sprogies und reichlich Muskelkraft das Drehmoment vorspannt. Die beiden sind zwei von mehreren TUM-Doktoranden, die am Projekt mitarbeiten.

Seit einigen Monaten laufen nun die Tests: Drehzahl, Drehmoment und Öltemperatur werden nach standardisierten Prüfzyklen von außen variiert, um in kurzer Zeit Zigtausende Kilometer echten Straßenalltags zu simulieren. Eine Schar Sensoren überwacht das Ganze, 28 Sonden dokumentieren allein die Temperatur, die Messung von Vibrationen und Geräuschen wird Thema einer eigenen Doktorarbeit. Soviel weiß man schon jetzt: Nach den ersten 10.000 Kilometern zeigen die neuen Zahnräder keine nennenswerten Ermüdungserscheinungen.

Bei Evonik in Darmstadt überrascht das niemanden. „Unser Vestakeep 5000G ist so ziemlich der leistungsstärkste Kunststoff, den es momentan auf dem Markt gibt“, sagt Philipp Kilian. Er leitet bei Evonik in der Business Line High Performance Polymers das Fachgebiet Tribologie. Hier geht es um alles, was mit Verschleiß, Reibung und Schmierung zu tun hat, wie er sagt. Das Spezialchemieunternehmen hat nicht nur das Material fürs Zahnrad geliefert, sondern auch die Materialdaten für die Simulation.

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Die TUM-Doktoranden Nicolai Sprogies (links) und Stefan Reitschuster spannen am Getriebeprüfstand in Garching das Drehmoment vor.

HART IM NEHMEN

Evonik produziert neben Hochleistungskunststoffen noch Hochleistungsschmierstoffe. In Darmstadt betreibt Evonik ein Prüflabor für beides. Wie in München werden dort hinter schalldichten Türen Maschinenteile im Dienst der Forschung malträtiert. Einen Prüfstand speziell für Kunststoffzahnräder hat Evonik zusammen mit dem Zahnradhersteller Werner Bauser entwickelt. Vom ersten „Grübchen“ in der Zahnflanke bis zum katastrophalen „Zahnfußbruch“ – dem Totalschaden jedes Getriebes – kann Evonik damit realistischen Verschleiß hervorrufen und zum Beispiel unter eigenen Rasterelektronenmikroskopen analysieren.

Hinter dem Markennamen Vestakeep verbirgt sich ein Polyetheretherketon, kurz PEEK. Diese Klasse Kunststoffe ersetzt seit Jahren immer mehr Stahlbauteile in verschiedenen Branchen. Sie ist extrem stabil gegen Abrieb und viele aggressive Chemikalien. Zudem hält das Material dauerhaft Temperaturen um 250, kurzzeitig sogar bis 300 Grad Celsius stand. „Es ist außerdem von sich schwer entflammbar, hochrein und sehr formstabil, weshalb zum Beispiel die Halbleiterindustrie hochpräzise Werkzeuge Räder aus PEEK benutzt, um empfindliche Wafer zu bearbeiten“, erklärt Sandra Kao, die aus Taipeh (Taiwan) für Evonik weltweit das Vestakeep-Marketing verantwortet. „Einige Autohersteller entwickeln mit PEEK auch sichere neue Batterien, Stromschienen und andere Komponenten für die immer höheren Ströme in Elektro autos der nächsten Generation.“

Bei Vestakeep 5000G, das Mercedes-Benz und die FZG verwenden, handelt es sich um das Top-Produkt von Evonik in Sachen PEEK: Die Zahl 5000 verweist auf das derzeit höchste erhältliche Molekulargewicht, also die besonders lange Molekülkette. Das G steht für die Lieferform als Granulat. Für die Tests an der FZG hat die Firma Werner Bauser rund ein Dutzend Zahnräder aus diesem Produkt hergestellt. Das Familienunternehmen aus Wehingen am Rande der Schwäbischen Alb fertigt seit der Gründung vor 60 Jahren ausschließlich Kunststoffschnecken und -zahnräder. Die stecken zum Beispiel in Bohrmaschinen und Garagenantrieben. Jüngst hätten die Trends zum höhenverstellbaren Schreibtisch und zum E-Bike die Nachfrage noch einmal kräftig anziehen lassen, sagt Bauser-Vertriebschef Thomas Simon.

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»Wir können mit Kunststoff sehr komplexe Formen gießen, was mit Stahl nicht geht.«

THOMAS SIMON VERTRIEBSCHEF BEIM ZAHNRADHERSTELLER WERNER BAUSER

DER SPRITZGUSS MACHT’S

Besonders stolz sind die Schwaben auf ihr Know-how im Getriebedesign und ihre Präzision im Spritzgießen. „Große Maschinenbauteile mit Toleranzen im Mikrometerbereich zu produzieren, das kann längst nicht jeder“, sagt Simon. Doch darauf kommt es an. Denn erst das Spritzgießen macht Kunststoffzahnräder günstig und sparsam in der Herstellung. Stahlzahnräder werden einzeln gefräst, was Arbeit und Abfall macht. Spritzgießmaschinen spucken dagegen gleich fix und fertige Zahnräder aufs Fließband – bei Bauser bis zu 750.000 am Tag. „Wir können zudem sehr komplexe Formen aus einem Mix unterschiedlichster Materialien produzieren, was mit Stahl nicht geht“, sagt Simon. Der 3D-Druck dürfte noch weitere Möglichkeiten eröffnen. Am FZG träumt man unter anderem schon von Kunststoffzahn-rädern mit integrierten Sensoren und Kühlmittelkanälen. 

Das wichtigste Argument für Kunststoff seien aber weder die geringeren Kosten noch die Designfreiheit – nicht einmal das eingesparte Gewicht, sagt FZG-Experte Stahl: „Alle Zahnradexperten sind momentan damit beschäftigt, das akustische Verhalten von Getrieben zu verbessern.“ 

In elektrisch angetriebenen Autos ist das Getriebe Lärmquelle Nummer eins. Wo kein Verbrennungsmotor brummt, fällt jedes andere Geräusch umso mehr auf. Die Branche nennt das Phänomen „Noise, Vibration, Harshness“ – kurz NVH. Es geht nicht nur um Lärm, sondern auch um Vibrationen und „Rauigkeit“. Letzterer Begriff kommt aus der Psychoakustik und beschreibt Frequenzbereiche, die bewusst und unbewusst als unangenehm empfunden werden. Man weiß, dass Kunststoffzahnräder durch ihr viskoselastisches Verhalten mehr davon schlucken und so die NVH-Werte deutlich verbessern können.

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»Stahl raus, Kunststoff rein – so einfach ist es leider fast nie.«

PHILIPP KILIAN LEITER DES FACHGEBIETS TRIBOLOGIE IN DER EVONIK-BUSINESS-LINE HIGH PERFORMANCE POLYMERS

Dennoch kennt man bei Bauser, Evonik und an der TUM den alten Spruch unter Maschinenbauern: „Wer Kunststoff kennt, nimmt Stahl.“ Moderne Materialwissenschaft habe zwar viele Kunststoffe für hocheffiziente und intelligente Anwendungen hervorgebracht (siehe Interview links), aber Kunststoffeinsatz habe dennoch seine eigenen Herausforderungen, sagt Kilian. „Stahl raus, Kunststoff rein – so einfach ist es leider fast nie.“ Kunststoff sei komplexer als Stahl. Er reagiere dynamischer, flexibler und temperaturabhängiger. Hinzu kommt das breitere Spektrum an Kunststoffen, die je nach Molekülstruktur, Herstellungsverfahren und Additiven ganz verschieden reagierten. Entsprechend viel gilt es noch zu forschen. 

Der Nachfolger des Forschungsprojekts in München steht schon in den Startlöchern. TUM, Evonik und Bauser haben dazu weitere Automobilzulieferer und sogar einen Autohersteller an Bord geholt, um das Kunststoffgetriebe von Grund auf neu zu entwickeln: Die Anordnung und Form der Zähne, das Übersetzungsverhältnis, das Gehäuse – alles soll exakt auf die Stärken des Materials zugeschnitten werden. „Das Zahnrad aus Stahl im Automobil hat gut 100 Jahre Vorsprung“, sagt Professor Stahl. „Wir stehen mit dem Kunststoff noch am Anfang, aber gerade das macht es so spannend.“

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»Talente richtig ausspielen«

Professor Dr. Karl Kuhmann leitet bei Evonik die Technologie- und Prozessentwicklung für Kunststoffverarbeitung von High Performance Polymers und lehrt seit gut 20 Jahren im Fachgebiet Kunststofftechnik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

Professor Kuhmann, Sie geben gerade wieder Ihre jährliche Einführung ins Mehrkomponenten-Kunststoffspritzgießen für Studierende des Maschinenbaus und der Materialwissenschaften. Was lernt man da? 

Die Studierenden staunen meistens erst mal ganz gehörig, was mit Kunststoffen durch die Spritzgießtechnik heute alles machbar ist: wie breit zum Beispiel die Spanne der Anwendungen ist und dass man selbst komplexe multifunktionale Bauteile aus unterschiedlichen Materialien vollautomatisch fix und fertig produzieren kann.

Hochleistungskunststoffe ersetzen zunehmend Stahl, gerade im Automobilbau. Müssen Sie da denn noch Vorurteile gegen Kunststoff abbauen?

Das Potenzial ist längst nicht ausgeschöpft. Es geht aber gar nicht darum, das eine Material gegen das andere auszuspielen. Kunststoff kann Dinge, die Stahl nicht kann – und umgekehrt. Den größten Nutzen sehe ich, wenn wir die Vorteile beider Werkstoffgruppen sehr gezielt einsetzen und richtig verbinden. Etwa in Hybridbauteilen, die sich die Stärken des Stahls und an den entscheidenden Stellen die Stärken auch unterschiedlicher Kunststoffe optimal zunutze machen.

Warum entfaltet Kunststoff gerade hier sein Potenzial?

Insbesondere Leichtbau und Effizienz sind gefragt. Und es zeigen sich immer neue, spannende Möglichkeiten: im Polymer design selbst, in neuen Verarbeitungstechnologien und in der kunststoffgerechten Konstruktion von Bauteilen. 3D-Druck zum Beispiel bringt zusätzliche Designfreiheit. Und auch durch Spritzgießen können wir verschiedene Komponenten mit unterschiedlichen Materialeigenschaften in einem Bauteil verbinden. Das kommt aber jetzt nicht alles plötzlich, sondern fußt auf Jahrzehnten intensiver Forschung und Entwicklung in der Kunststofftechnik. Wir heben einfach mehr vom Potenzial des Kunststoffs, wenn wir die verschiedenen Disziplinen wie Kunststofftechnik, Metall- und Getriebetechnik und die Materialwissenschaften stärker zusammenbringen, um die Talente des Materials richtig auszuspielen.

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