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Surfen auf dem Polymer

Lesedauer 8 min
21. Juli 2025

Ein Unternehmer und Vollblutsurfer macht Surfboards besser und zugleich umweltverträglich. Ein Produkt von Evonik spielt eine ­entscheidende Rolle auf dem Weg zum grüneren Wellenreiten.

Alternativbild
Von Christoph Bauer

Redakteur und Textchef der ELEMENTS

Wie Wellenreiter auf die Natur schauen, wird oft als Surfer-Umwelt-Paradoxon beschrieben. Einerseits sind viele der Sportler sehr naturverbunden – sie lieben sauberes Wasser und unberührte Strände, organisieren Müllsammelaktionen und beobachten den Klimawandel mit Sorge. Andererseits surfen sie auch in entlegenen Ecken und erschließen sie oft erst für den Tourismus. Die Profis reisen zudem viel und weit um die Welt zu den Topspots. Vor allem aber ist das Material, aus dem Surfbretter bestehen, ein Problem: Die Boards werden bislang aus einer fest verklebten Sammlung von Kunststoffen hergestellt, die kaum trennbar und daher auch nicht recycelbar ist.

Thilo von Osterhausen will das ändern. Der 35-jährige Unternehmer baut Bretter für die Kreislaufwirtschaft – mithilfe von Evonik. Von Osterhausen ist in der Surfbranche aufgewachsen. Sein Vater gründete 1984, in der Frühphase des Windsurfbooms in Europa, die Firma Gunsails in Saarbrücken. Das familiengeführte Unternehmen ist heute mit rund fünf Millionen Euro Umsatz der größte ­deutsche Hersteller für Windsurfartikel. Thilo stand mit drei Jahren zum ersten Mal auf einem Surfboard, und seitdem bedeutet ihm jedwedes Brett die Welt: Er surft mit und ohne Segel, fährt Skateboard und war von 2014 bis 2016 Trainer der deutschen Snowboard-Nationalmannschaft.

Thilo von Osterhausen streicht mit einem Pinsel über die Oberfläche eines KANOA-Surfbretts.

Schon früh versuchte er, die Sportgeräte, mit denen er unterwegs war, zu optimieren. Am Anfang ging es ihm vor allem um die Stabilität. „Als ich zum ersten Mal mit meinem selbst gekauften Surfbrett fuhr, hatte es anschließend bereits eine Delle“, erinnert sich von Osterhausen. Das Problem liegt im Aufbau des Boards: Es besteht aus einem schaumartigen Kern, der für den Auftrieb sorgt. Hier kommt bis heute vor allem Poly­urethan zum Einsatz. Drum herum, und in der Regel glatt anliegend, befindet sich die Hülle, Laminat genannt. Sie besteht aus glasfaserverstärktem Kunststoff, wie er ähnlich auch im Bootsbau oder bei Windradflügeln genutzt wird.

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Kilogramm wiegt ein Hochleistungsbrett ungefähr. Es muss leicht und gleichzeitig besonders stabil sein. Vergleichbare Polyurethanbretter sind oft doppelt so schwer.

Profisurfer haben bisher hohen Verschleiß

Was bei Hobbysurfern oft recht lange hält, ist im sportlichen oder professionellen Einsatz schnell dahin. „Ein Profisurfer verbraucht ein Brett innerhalb von drei Monaten“, so Thilo von Osterhausen, „dann ist es weich.“ Kern und Schale haben sich an vielen Stellen getrennt, die Oberfläche ist mit Dellen übersät. Das Board wird dadurch instabil und schlechter zu steuern. Es schwimmt noch, aber im Prinzip ist es dann Kunststoffmüll.

In seinem Wirtschaftsingenieurstudium an der TU München ging von Osterhausen das Problem wissenschaftlich an. Für seine Masterarbeit forschte er an einer Struktur, die zugleich leicht, belastbar und langlebig ist. Ein Vorbild fand er in der Natur, nämlich die Waben der Honigbienen. Sein Ansatz: Die Außenseite des Kernmaterials wird mit sechseckigen Waben versehen, die in den Kern hineinreichen. Darüber werden Matten aus Glas- oder Flachsfasern gelegt. Dieses Laminat liegt also nicht mehr flach auf, sondern ragt wie Wurzeln über die Wabenstruktur in den Kern und verbindet beides wesentlich fester. Der Name der Technik verweist auf den natürlichen Ursprung der Konstruktion und die Verwurzelung im Kern: „Honey-Roots-Technologie“, kurz HRT.

Thilo von Osterhausen trägt eine Atemschutzmaske und trägt ein frisch lackiertes Brett.

Schon 2018 erhielt von Osterhausen eine Förderung des Bundeswirtschaftsministeriums für seine Innovation. Mithilfe verschiedener Universitäten tüftelte er weiter an der Technologie für das perfekte Board, neben seiner Arbeit als Entwicklungschef im Familienunternehmen Gunsails. Um seine innovativen Surfbretter zu vermarkten, rief er die Marke Kanoa ins Leben. „Nach dem Studium dachte ich, das hätte ich in ein bis zwei Jahren am Markt. Jetzt sind es eher acht bis neun geworden“, resümiert von Osterhausen. „Der Innovationsprozess enthält unfassbar viel Trial and Error.“

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Prozent pflanzliche Inhaltsstoffe stecken im Kern des Bretts, der für den Auftrieb sorgt. Ausgangsmaterial ist Holz, das mit recyceltem Schaum kombiniert wird.

Geprüft auf Kern und Schale

Von Beginn an wollte er eine Lösung, die auf dem Markt Erfolg hat: „Ich habe mich auf Innovationstheorie fokussiert und auch meine Masterarbeit darauf ausgerichtet“, so der Boardbauer heute. „Der Aufbau sollte also nicht nur technisch umsetzbar, sondern auch wirtschaftlich realisierbar sein.“ Zudem rückte der Gedanke der Umwelt-verträglichkeit in den Vordergrund. Dazu brauchte es Partner aus der Industrie. Einen wichtigen traf der Unternehmer im Jahr 2023 auf der JEC, einer globalen Leitmesse für Verbundstoffe in Paris. Stephan Sprenger, Chemiker und Materialwissenschaftler bei ­Evonik, forscht seit vielen Jahren an Faserverbundwerkstoffen. Neue Anwendungen, bei denen nachhaltige Technologien zum Einsatz kommen könnten, interessieren ihn immer.

Sprenger machte von Osterhausen mit einem bewährten Produkt von Evonik für die neue Idee vertraut: ­Albidur, ein Core-Shell-Elastomer. Diese bestehen aus einer inneren Kernschicht und einer äußeren Schale oder Haut, die jeweils unterschiedliche Eigenschaften auf­weisen. Albidur bindet sich mit seiner hautartigen Hülle an das umgebende Harz. Der elastische Kern dient dazu, Krafteinwirkungen von außen auf das Gemisch abzufangen und Beschädigungen oder Brüche zu vermeiden. So wird aus dem spröden Material ein ausgesprochen widerstandsfähiges. Albidur wird seit vielen Jahren in Klebstoffen und Harzen verwendet, etwa in Rotorblättern von Windrädern. Dort erleichtern die Additive zudem die sortenreine Trennung der Bestandteile, sobald die Produkte das Ende ihres Lebenszyklus erreicht haben.

Stephan Sprenger steht auf einer Wiese auf einem Kanoa-Surfbrett. Im Hintergrund ist das Evonik-Werk in Geesthacht zu sehen.

Von Osterhausen begann, mit Albidur zu experimentieren. „Das ist das Gute, wenn man ein kleines Start-up ist“, sagt der Firmengründer heute, „man ist flexibel und kann ohne Umwege neue Dinge ausprobieren. Auch wenn es im ersten Moment nicht unbedingt naheliegend ist.“ Das Material von Evonik setzte er als Teil des Laminats ein. Durch die weiße Farbe werden die wabenförmigen Wurzeln im transparenten Harz der Hülle gut ­sichtbar und sind quasi ein Markenzeichen der Bretter. „Wir ermöglichen damit zum einen den Einsatz eines recycelbaren Epoxidharzes“, erläutert Stephan ­Sprenger, der am Evonik-Standort in Geesthacht bei Hamburg arbeitet. „Zum anderen beeinflusst Albidur den späteren Recyclingprozess des Surfbrettes nicht und macht das verwendete Harz nutzbar für einen Stoffkreislauf.“

Sonnenschutz gegen Gilb

Nach kurzer Entwicklungszeit erwies sich der Zusatz als echtes Multitalent in den Boards. Dank einer reaktiven Harzmatrix, in der die Silikon-Elastomer-Partikel gleichmäßig verteilt sind, werden äußere Krafteinwirkungen von der Laminathülle besser abgefangen. „Diese sogenannte Schlagzähigkeit ist wichtig, wenn der Surfer einmal vor einen Stein oder einen anderen harten Gegenstand fährt“, ergänzt Thilo von Osterhausen. Außerdem hilft Albidur dabei, dass die Verbundteile in ihrer ursprünglichen Form sowie fest und steif bleiben. Das Material ermüdet also deutlich langsamer. Dellen wie in von Osterhausens erster Eigenentwicklung gibt es kaum. Und noch ein Vorteil besteht, der beim Surfen wichtig ist: Das Evonik-Produkt schützt die Epoxy-Matrix vor UV-Einstrahlung. Das transparente Harz der Hülle vergilbt also auch bei sehr viel Sonne nicht.

Ein Surfer hockt im Neopprenanzug am Strand, Auf seinen Oberschenkeln hat er sein Surfbrett abgelegt.

Die verbesserten Eigenschaften der Bretter erlauben nun weitere Schritte zur Nachhaltigkeit. Bisher mussten meist Materialien wie Carbon- oder Glasfasern zur Verstärkung der Boards eingesetzt werden. Bei Kanoa können sie durch Naturfasern oder recycelte Materialien ersetzt und anschließend unter Verwendung der mit Core-Shell-Elastomer angereicherten Matrix hergestellt werden. Aber auch das Innerste der Bretter kann verbessert werden. In den innovativen Boards besteht ihr geschäumter Kern inzwischen zu 70 Prozent aus recyceltem Material, etwa aus alten Styroporverpackungen. Die restlichen 30 Prozent sind Lignin, ein pflanzlicher Abfallstoff aus der Papierindustrie, der immer mehr als Rohstoff in den Fokus rückt. Die Rohlinge werden per CNC-Fräsmaschine in Form gebracht, der Verschnitt geht zurück zum Hersteller und wird wieder recycelt.

USA als dominierender Markt

Der Erfolg der Surfbretter nimmt die Hersteller in die Pflicht, schon bei der Herstellung an die Wiederverwertung zu denken.

Infografik zum Surfbrettmarkt und zum Recycling von Kunststoff.

Bei aller Liebe zur Natur, entscheidend für den Erfolg auf dem Markt ist vor allem, wie gut Surfer mit den Boards in der Welle klarkommen. Dabei gab es für Kanoa und Evonik eine Überraschung: Das Additiv sorgt sogar für eine gute Vibrationsdämpfung beim ganz normalen Surfen. „Das war uns vorher gar nicht bewusst“, sagt ­Stephan Sprenger. Kanoa hat es beim Testen herausgefunden. „Das Phänomen, dass das Brett beim Surfen zu flattern beginnt und sich instabil anfühlt, nennen wir ,Chatter‘“, erklärt Thilo von Osterhausen. Gewöhnlich tritt es eher bei Boards mit Hartschaumkern auf, da sie weniger flexibel sind als die Bretter mit konventionellem Polyurethan-Kern. Aber Albidur verleiht den Epoxy-Boards die stabile Eigenschaft der PU-Bretter ohne den Nachteil der schnellen Materialermüdung.

„Aktuell lassen wir ein Exemplar von einem Profisurfer testen“, berichtet der Kanoa-Chef. „Nach acht Monaten fühlt es sich bei ihm immer noch an wie neu.“ Dies sei zwar kein wissenschaftlicher Test, gebe aber einen Hinweis auf die Langlebigkeit. In der ersten Generation der Bretter werden teilweise Glasfasern verarbeitet, die bislang noch günstiger sind als Zellulosefasern. Damit will Kanoa den Markt von der Honey-Roots-Technologie überzeugen. Solch ein Brett wird allerdings rund doppelt so teuer sein wie ein konventionelles. In jedem Exemplar von Kanoa stecken schließlich noch zehn Stunden Handarbeit. Das ist halb so viel wie am Anfang, aber auch dieser Wert soll sinken. In der nächsten Generation wird der Anteil der Zellulosefasern auf das maximal Mögliche gesteigert.

Thilo von Osterhausen glättet mit einem Schaber die Kante eines Surfboards, das sogenannte "Rail".

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Monate hält ein übliches Surfbrett der Belastung durch einen Profi stand. Erste Tests mit HRT versprechen eine dreimal so lange Halt­barkeit – vielleicht sogar mehr.

Surfbrett als Technologieträger

Die Wabenstruktur bietet viele Möglichkeiten außerhalb des Nischenmarkts Wassersport. „Das Surfbrett als Technologieträger ist für uns der Beweis, dass die Kon­struktions­art der Honey-Roots-Technologie funktioniert“, sagt Stephan Sprenger. Und die lässt sich auch für andere Bauteile nutzen. Im Fokus: der Markt für Mobilität. Überall, wo Menschen oder Waren bewegt werden müssen, sind Haltbarkeit, Stabilität und geringes Gewicht des Transportmittels gefragt.

Der Aspekt, dass Rohstoffe wiederverwendet werden, kommt immer öfter hinzu. Mit seinem hybriden Sandwichhalbzeug Hy-Core will Thilo von Osterhausen ein neues Kernmaterial für Waggonbau, Boots- und Schiffbau, Automobilsektor, aber auch Bauindustrie oder Möbelherstellung anbieten. Dort kann Albidur zum Einsatz kommen. Da das Material durch ein spezielles Vakuumverfahren in alle Richtungen fließt, ist es ideal für komplexe Formen. Thilo von Osterhausen erklärt: „Hy-Core trägt die Honey-Roots-Technologie mit der 3D-Laminatstruktur in sich. Wir können somit die Vorteile unserer Surfboard-Konstruktion verschiedenen Industrien zugänglich machen.“

Als erstes Produkt soll eine Allround-Platte für eine Vielzahl von Anwendungen mit einer Dicke von 3,5 Milli­metern auf den Markt kommen. Aktuell wird das Vertriebsnetz aufgebaut. „Bei Gesprächen mit Materialherstellern wurde mir schnell bewusst, dass das Thema Nachhaltigkeit selbstverständlich wird“, so Thilo von Osterhausen. „Viele recycelte Kunststoffe haben noch Nachteile bei der Performance, aber meine Entwicklung kann das beheben.“ Bewerben kann er das mit einer Auszeichnung: In diesem Jahr gewann der Unternehmer mit HRT den World Innovation Award der Messe JEC.

Sein persönliches Surfer-Umwelt-Paradoxon löste von Osterhausen übrigens auf seine eigene Art: Er verlegte den Kanoa-Hauptsitz von Saarbrücken, wo Gunsails bis heute beheimatet ist, an den Atlantik ins französische Baskenland. Weite Reisen zum Testen oder einfach zum Surfen aus Spaß sind nun hinfällig: „Von dort aus sind es sind nur fünf Minuten zum Strand.“

Die Award-Statue steht auf einem KANOA-Surfbrett.

3 Fragen an Stephan Sprenger

Wo wird ALBIDUR eingesetzt? Was sind seine Eigenschaften und wo gibt es neue Märkte für dieses bewährte Produkt?
Stephan Sprenger mit einem KANOA-Surfbrett vor einer Evonik-Fahne.

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Jahre brauchte Thilo von Osterhausen vom ersten Modell bis zur Marktreife. Ursachen: viel Arbeit fürs Familienunternehmen Gunsails und mehr Trial and Error, als er gedacht hatte.