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Ideen ins Trockene bringen

Lesedauer 8 min
18. August 2025

Damit ein Produkt am Einsatzort seine Wirkung optimal entfaltet, sind viele Kompetenzen nötig – von der Material- und Prozessauswahl über die ­Lagerfähigkeit bis hin zur Anwendbarkeit beim Kunden. Eine wichtige Rolle bei diesem Prozess spielt die Verfahrenstechnik.

Michael Prellberg
Von Michael Prellberg

Er lebt und arbeitet als freier Redakteur und Journalist in Berlin und Hamburg.

Seit mehr als 100 Jahren sorgt Stickstoffdünger auf Äckern für hohe Ernteerträge. Eine Überversorgung kann jedoch den Boden versauern und wichtige Mikroorganismen verdrängen. Im Wasser führt die Eutrophierung zu Algenwachstum und schließlich zu Sauerstoffmangel. Außerdem erhöht sich der Lachgasgehalt in der Atmosphäre, was den Klimawandel verstärkt.

Um die Umwelt zu schützen, setzt die moderne Landwirtschaft deshalb zunehmend auf Mikroorganismen – zum Beispiel durch den Einsatz von Knöllchenbakterien, von Fachleuten Rhizobien genannt. Diese Rhizobien ziehen Stickstoff aus der Luft, wandeln ihn um und geben ihn weiter an die Pflanze.

Mikroorganismen sind die Superkraft von morgen: Sie schützen Pflanzen oder lassen sie wachsen, sind gut für den Darm oder die Haut, und manche wehren gar ihre schädlichen Artgenossen oder andere Krankheitserreger ab. Sogar in technischen Anwendungen kommen sie zum Einsatz, etwa in „selbstheilendem“ Beton.

Biologisch aktive Wirkstoffe sind jedoch oft sehr empfindlich. Sie müssen zu Produkten weiterverarbeitet werden, die eine Lagerung überstehen, unbeschadet an ihren Einsatzort gelangen und dort ihre volle Wirkung entfalten. Diese Weiterverarbeitung, bei der Komponenten gemischt werden, nennen Experten Formulierung. Dafür sind viele Arbeitsschritte nötig, für die Experten aus der Verfahrenstechnik (VT) von Evonik wie Max Braun eine entscheidende Rolle spielen. Sie suchen nach den richtigen Hilfsmitteln und Prozessschritten für die perfekte Formulierung: „Heutzutage reicht es nicht mehr aus, einfach nur ein fertiges Material über den Zaun zum Kunden zu werfen. Wir brauchen komplexe, auf den Kunden zugeschnittene Lösungen, die er gut und einfach handhaben kann“, erklärt Prozessingenieur Braun, der innerhalb der Verfahrenstechnik für Bioformulierungsthemen zuständig ist. „Unsere Kompetenzplattform bringt verschiedene Fachdisziplinen für die beste Formulierung von biologisch aktiven Wirkstoffen zusammen.“

Eine von unten beleuchtete Petrischale im Halter, auf der verschiedene Bakterienspuren zu erkennen sind.

Wie diese Zusammenarbeit funktioniert, zeigt sich beispielhaft anhand spezieller Rhizobien, die im Programm „Agriculture Solutions“ der Creavis entwickelt wurden, der strategischen Forschungseinheit und dem Business Incubator von Evonik. Sie gehören zu den Biostimulanzien und verbessern Wachstum, Widerstands­fähigkeit und Qualität von Pflanzen und Böden auf natürlichem Weg.

Porträtbild Ines Ochrombel

»Wir profitieren vom konzen­trierten Know-how in Mikrobiologie, Agrarwissenschaft, chemischer Formulierung und Prozesstechnik.«

Ines Ochrombel Programmleiterin bei der Creavis

Kompetenz unter einem Dach

Ihr Einsatz ist jedoch nicht trivial. Rhizobien etwa sind wählerisch, wen sie mit Stickstoff versorgen. Erbsen, Soja- und Ackerbohnen zählen zu den Pflanzen, die seit Urzeiten von Rhizobien profitieren. Die wichtigsten Feldfrüchte – Getreide, Raps, Rüben und Kartoffeln – interagieren allerdings nicht mit ihnen. Evonik-Wissenschaftler arbeiten daran, das zu ändern. Bei Kartoffeln, Mais und Weizen gibt es bereits vielversprechende Ergebnisse. „Unser Vorteil: Wir profitieren von dem konzentrierten Know-how in Mikrobiologie, Agrarwissenschaft, chemischer Formulierung und Prozesstechnik“, sagt Ines Ochrombel, Programmleiterin bei der Creavis.

Es braucht mikrobiologisches Wissen, um die Bakterien in eine lagerfähige und verwendbare Form zu überführen. Es braucht eine passende Formulierung, um die Bakterien am Leben zu erhalten – bis zum Einsatz auf dem Feld. Und es braucht umfassendes Material- und Prozesswissen: Wie werden die winzigen Lebewesen stabilisiert, wie lager- und einsatzfähig gemacht?

„Biostimulanzien sind ein gutes Beispiel dafür, wie neue Produkte und Märkte entstehen, wenn Menschen aus verschiedenen Fachbereichen miteinander arbeiten“, sagt Verfahrenstechniker Braun.

Max Brauns Kopf von seitlich hinten. Er schaut auf einen Monitor mit Mikroskopaufnahmen.
Jasmin Reiner lehnt an einer Wand.

»Wir brauchen gleichzeitig physikalische und biologische Stabilität.«

Jasmin Reiner Verfahrenstechnikerin bei Evonik

Erst Kultivieren, dann ernten

Die Arbeit beginnt am größten Standort des Evonik Biotech Hubs in Halle-Künsebeck unweit von Bielefeld. Hier werden Rhizobien, die in der Lage sind, Stickstoff auch für Getreide und Kartoffeln aus der Luft zu holen, isoliert und charakterisiert. Künftig gehen diese Mikro­organismen gekühlt auf die Reise zu den Kollegen vom Biotech Hub in Hanau. Dort werden sie dann in Bio­reaktoren – meist Stahlkesseln – kultiviert, also vermehrt. „Damit das optimal funktioniert, verändern wir den pH-Wert, die Sauerstoffzufuhr oder das Tempo der Zuckerzufuhr, die sogenannte Feed Rate, um im Abgleich das bestmögliche Wachstum zu erreichen“, sagt der für das dortige Biotech-Hub-Laborteam Verantwortliche, Philipp Glembin.

Ist die Fermentation abgeschlossen, werden die Mikro­organismen zentrifugiert und damit aufkonzen­triert. Die Bioverfahrenstechniker sprechen von „harvest“: Sie „ernten“ die im Bioreaktor gewachsenen Bakterien. Die milchige Suppe, die sie dabei erhalten, ist längst noch nicht bereit für den Einsatz beim Kunden, die Formulierung zum eigentlichen Produkt steht noch aus. Um diese zu finden, muss die Suppe zunächst in die Verfahrenstechnik.

„Bei der Formulierung hängt wie bei einem Kuchen alles von den richtigen Zutaten, der perfekten Menge und Konzentration ab“, sagt Jasmin Reiner, als Verfahrenstechnikerin spezialisiert auf Bioformulierung. Die VT-Experten suchen nach den passenden Hilfsmitteln und Technologien für die perfekte Mischung. „Wir brauchen gleichzeitig physikalische und biologische Stabilität.“

Ein Messbehälter auf einem Messgerät. Im Kolben eine weißliche Flüssigkeit, eine Hand stellt am Gerät Werte ein.

Eine entscheidende Aufgabe für die Spezialisten: Um die Mikroorganismen länger lebensfähig zu halten und so das Produkt dauerhaft bei Raumtemperatur haltbar zu machen, müssen sie die Rhizobien in einen temperaturunabhängigen Tiefschlaf versetzen.

Hierzu entziehen sie der milchig weißen Flüssigkeit die Feuchtigkeit. Ein gängiges Verfahren ist die Sprühtrocknung: Eine Lösung wird in feine Tröpfchen zerstäubt und anschließend durch einen Heißluftstrom getrocknet – so entsteht ein Pulver. Dabei kommt es auf Nuancen an: Wird zu wenig Wasser weggenommen, verstoffwechseln die Bakterien weiter und sterben aufgrund fehlender Nährstoffe – weit vor dem Einsatz auf dem Feld.

Zu trocken darf das Pulver allerdings auch nicht sein: „Entfernen wir das gesamte Wasser, sterben die Kulturen ebenso“, sagt Reiner. „Wir müssen genau die richtige Balance finden, damit die Kulturen leben, aber schlafen.“

Ein Metallbehälter in einer Halterung, von oben führt ein gebogenes Rohr hinein.

Fünf Schritte

Dir fünf Schritte der Bioformulation: Downstream Processing, Formulierung, Spühtrocknung, Coating, Dispergierung.
Die fünf Schritte der Bioformulation

Nichts Geht ohne Additive

Darüber hinaus bedenken die Experten bei Evonik viele weitere Anforderungen der Kunden. Werden Biostimulanzien in der Landwirtschaft eingesetzt, ist es zum Beispiel wichtig, dass sie sich vermengt mit Wasser auf dem Feld versprühen lassen und nicht die Düsen der landwirtschaftlichen Maschinen verstopfen. Außerdem müssen sie kompatibel sein mit den Pflanzenschutzmitteln, die der Landwirt bereits einsetzt. „Wir können nicht erwarten, dass jemand zweimal über das Feld fährt oder gar neue Maschinen kauft, nur um unsere Biostimulanzien einzusetzen“, sagt Stefan Gilch, Projektmanager für Agricultural Solutions bei der Creavis. „Also müssen wir uns an der Ausrüstung der Endabnehmer ausrichten.“

Ein Landarbeiter steht vor einem Traktor mit Sprüharmen auf einem Getreidefeld.

Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, fügen die Verfahrenstechniker der Rhizobien-Lösung, die in den Sprühtrockner kommt, ein Silikat-Trägermaterial – Sipernat-Spezialkieselsäure – hinzu. Mit dessen Hilfe und über die verschiedenen Einstellungen bei der Sprühtrocknung können die Verfahrenstechniker sowohl die Größe als auch die Beschaffenheit der Partikel im Pulver beeinflussen: Diese sind am Ende klein genug und rund, sodass die Düsen der Sprühgeräte nicht verstopfen.

Damit die Rhizobien bei der Lagerung und auf dem Weg zum Feld keinen Schaden nehmen, werden sie bei der Sprühtrocknung zudem mit einem speziellen Zucker ummantelt. Dieses Coating schützt die Mikroorganismen vor Umwelteinflüssen wie Licht, Feuchtigkeit und Sauerstoff und erhöht somit ihre Stabilität. Sobald der Landwirt die fertige Formulierung mit Wasser mischt, weckt er die Mikroorganismen auf, und zugleich löst sich das Zucker-Coating. Der Zucker kann den Mikro­organismen dann als Nahrung dienen. „Das haben wir uns aus der Natur abgeschaut“, erklärt Braun.

Noch ist es aber nicht so weit. Bevor die Biostimulanzien einsatzbereit sind, haben sie einen weiteren Schritt in der Verfahrenstechnik vor sich: das Dispergieren. Dabei werden die Partikel aus der Sprühtrocknung mit einer speziellen wasserfreien Flüssigkeit verrührt, die sich aus verschiedenen Evonik-Additiven zusammensetzt. „Wir greifen dabei auf das breite Know-how und die vorhandenen Produkte aus unseren Geschäften zurück“, sagt Reiner. Als biologisch abbaubare Trägerflüssigkeit sowie als Dispergieradditiv für eine möglichst feine Verteilung dienen Produkte aus dem Break-Thru-Portfolio. Zusätzlich sorgt die pyrogene Kieselsäure Aerosil dafür, dass die Partikel in der Schwebe gehalten werden und sich nicht auf dem Boden absetzen.

Ein etwa zwei Meter hoher runder Edelstahlbehälter, er wird von links rötlich angeleuchtet.

Ein Break-Thru-Produkt übernimmt darüber ­hinaus als Adjuvanz eine weitere wichtige Aufgabe: Es sorgt dafür, dass die Mikroorganismen an ihrem Wirkort ankommen und dort verbleiben, selbst wenn es regnet. „Würden wir die Biostimulanzien einfach nur auf die Pflanze sprühen, blieben die Tropfen auf der Blattoberseite liegen oder würden vom Regen abgewaschen“, erklärt Projektmanager Gilch. Der Effekt wäre null. Dank des Adjuvanz breiten sich die Biostimulanzien großflächig auf dem Blatt aus – Fachleute sprechen von „spreiten“ – und bewegen sich auch zur Unterseite des Blattes, wo sie durch winzige Atmungsöffnungen (Stomata) ins Blattinnere gelangen. Dort sind sie vor Wind und Wetter geschützt und versorgen die Pflanze mit Stickstoff aus der Luft.

Die Suche nach dem SweetSpot

All diese Abläufe und Anforderungen werden in der Verfahrenstechnik bedacht. „Wir wissen, dass wir einen langen Atem brauchen“, sagt Reiner. Das richtige Zusammenspiel von Mikroorganismen, Materialien und Stabilisatoren für den jeweiligen Kundenwunsch auszuknobeln, sei die eigentliche Herausforderung. Schritt für Schritt werden einzelne Parameter wie Temperatur, Druck oder Durchsatzraten geändert, „so hangelt man sich weiter“. Ihr Kollege Braun bezeichnet das Aus­tarieren von Trocknungsgeschwindigkeit und -temperatur, Hilfsmitteln und Stabilisatoren als „die Suche nach dem Sweetspot“. Immerhin: Die Fachleute aus der Verfahrenstechnik fangen nicht jedes Mal bei null an. „Wir haben die Erfahrung, um aus der Vielzahl von Optionen die beste Wahl zu treffen“, sagt Braun. „Der Rest ist Finetuning.“

Auf dieses Finetuning kommt es jedoch an. Der Landwirt erwartet schließlich, dass die Mikroorganismen, die er zur Stickstoffversorgung seiner Feldfrüchte nutzen will, auch nach monatelanger Lagerung noch wirken. Diese Herausforderung hat die Creavis gemeinsam mit der Verfahrenstechnik bei Evonik in den Griff bekommen: Testergebnisse belegen, dass die Wirksamkeit bei Rhizobien nach zwei Jahren im Lager bei Raumtemperatur genauso hoch ist wie nach zwei Wochen.

Max Braun und Jasmin Reiner gemeinsam an einem Schreibtisch. Beide tragen Laborkittel.

Die Fast-Alles-Könner

Infobox zählt die Wirkung von Mikroorganismane auf Tiere, Pflanzen und Menschen auf.

Landwirte sind keine direkten Kunden von Evonik. „Wir arbeiten zusammen mit Unternehmen aus den Branchen Agrar und Chemie wie Agravis oder Helm“, sagt Projektmanager Gilch. Mit Agravis wird in Feldversuchen die Wirkung der verschiedenen Biostimulanzien auf Kartoffeln untersucht, mit Helm bei Weizen und Mais. Der Effekt ist deutlich: Bei Kartoffeln lag der Mehrertrag in Feldversuchen im vergangenen Jahr durchschnittlich um 28 Prozent. Bei Weizen und Mais ist er niedriger. „Da haben wir den optimalen Weg noch nicht gefunden“, sagt Stefan Gilch. Gerade testet er auf verschiedenen Feldern, was besser ist: die Biostimulanzien einmal oder zweimal auftragen? Und in welcher Phase des Pflanzenwachstums?

2027 werden die ersten Biostimulanzien auf den Markt kommen, die dank Evonik-Technologie und -Materialien beim Landwirt stabil eingesetzt werden können. „Wir bereiten jetzt schon alles dafür vor“, sagt Creavis-Programmleiterin Ines Ochrombel. „Unsere Innovation hat das Potenzial, ein Baustein in der Landwirtschaft der Zukunft zu werden.“ 

Ein Analysegerät in einem Labor.

Verfahrenstechnik

Evonik-Kommunikatorin Nadine Albach spricht mit Max Braun und Jasmin Reiner aus der Verfahrenstechnik über die besondere Stärke ihres Bereichs: die Kombination von Produkten, Know-how und Prozessverständnis. Anhand eines Beispiels aus der Landwirtschaft zeigen sie, wie durch Formulierung und Funktionalisierung innovative, nachhaltige Lösungen entstehen, die exakt auf Kundenbedürfnisse zugeschnitten sind.
Jasmin Reiner, Verfahrenstechnikerin bei EvonikVerfahrenstechnik Hanau