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"Klimaschutz sollte Spaß bringen"

Lesedauer 5 min
24. November 2025

Klima- und Naturschutz haben es derzeit schwer: Die Konjunktur schwächelt, die geopolitische Lage ist fragil, und große Akteure wie die USA ziehen sich zurück. Klimaforscher Mojib Latif und Naturschützerin Myriam Rapior diskutieren die Konsequenzen für Erderwärmung und Biodiversitätsverlust.

Bernd Kaltwaßer
Von Bernd Kaltwaßer

Promovierter Biologe und Redakteur der ELEMENTS

Alternativbild
Von Christian Baulig

Journalist und Volkswirt

Herr Professor Latif, in diesen Tagen treffen sich die Delegierten der UNO-Mitgliedstaaten in Brasilien. Was erwarten Sie von dieser Weltklimakonferenz?

Mojib Latif Ich verfolge das natürlich. Das ist schließlich einer der wenigen Momente in der heutigen Zeit, in denen das Thema Klima in die Öffentlichkeit kommt. Aber zugleich verspreche ich mir nichts davon. Es hat bereits 29 Weltklimakonferenzen gegeben, und die weltweiten Emissionen von Treibhausgasen sind trotzdem immer weiter gestiegen – außer in der Coronazeit.

Mojib Latif vor einer Wand voll grüner Blätter
Dr. Mojib Latif (71) ist Professor am Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. Er wurde im Jahr 2000 mit dem Max-Planck-Preis für öffentliche Wissenschaft ausgezeichnet. Seit 2017 ist der Meteorologe Präsident des Club of Rome Deutschland. 2022 wurde Latif zum Präsidenten der Akademie der Wissenschaften in Hamburg gewählt. Er hat zahlreiche Bücher zum Klimaschutz veröffentlicht, zuletzt „Klimahandel – Wie unsere Zukunft verkauft wird“.

Frau Rapior, sehen Sie das ebenso skeptisch?

Myriam Rapior Die Einschätzungen von Herrn Latif sind richtig, aber wir müssen optimistisch ­bleiben. Es ist wichtig, immer wieder zu mahnen und zu sagen, dass wir es noch schaffen können, den globalen ­Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen. Viele Umwelttrends zeigen zwar nach unten, trotzdem müssen wir dranbleiben und versuchen, positive Im-pulse zu setzen. Wenn wir nicht mehr an die Klimawende glauben, dann glaubt keiner dran.

Myriam Rapior lehnt stehend an einem Sideboard und wird von oben rechts von kugelartigen Lampen angestrahlt
Dr. Myriam Rapior (29) ist stellvertretende Bundesvorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). 2022 wurde sie für ihre Arbeit in der Zukunftskommission Landwirtschaft mit dem Ehrenpreis des Deutschen Umweltpreises ausgezeichnet und ein Jahr später in den Rat für Nachhaltige Entwicklung berufen, der die Bundesregierung berät. Rapior arbeitete als Biodiversitätsmanagerin der Universität Hamburg und war im Unternehmen Kuyua tätig, das mittels KI Natur- und Klimarisiken in Unternehmen und Lieferketten analysiert.

Latif Stimmt schon. Aber das Klimaabkommen, das vor zehn Jahren in Paris geschlossen wurde, ist de facto geplatzt. Das hat nichts mit Pessimismus zu tun, sondern mit Physik. Selbst wenn wir jetzt alles Menschenmögliche tun, werden wir eine Erderwärmung von zwei Grad überschreiten. Ich bin allerdings niemand, der Kipppunkten das Wort redet. Auch wenn wir die Pariser Klimaziele nicht erreichen, kann die Welt noch lebenswert sein. Wir sollten allerdings tunlichst nicht an drei Grad herankommen.

Sie geben also Entwarnung?

Latif Nein, ich meine bloß, dass wir etwas Dramatik rausnehmen sollte. Sonst sind die Menschen am Ende so verzweifelt, dass sie zu Aktionen greifen wie die „Letzte Generation“, die total kontraproduktiv sind.

Mit den USA hat sich einer der größten Verursacher von Treibhausgasen aus den internationalen Klimaschutzinitiativen abgemeldet. Zugleich hat China angekündigt, seine CO2-Emissionen massiv zu senken. Können wir also etwas Hoffnung schöpfen?

Latif Vielleicht. Auf der einen Seite ist China nach wie vor der größte Verursacher von CO2 mit fast einem Drittel der weltweiten Emissionen. Auf der anderen Seite werden dort mehr Kapazitäten für erneuerbare Energie geschaffen als irgendwo sonst. Ich glaube, mit China an der Spitze geht die Welt tatsächlich in Richtung erneuerbare Energien – und das werden auch die USA tun müssen.

Vor ein paar Jahren ist Deutschland mit dem Anspruch vorangegangen: „Wir werden Klimaweltmeister“. Können wir dem noch gerecht werden?

Rapior Ich wünsche mir zumindest, dass Deutschland diesen Anspruch wieder erhebt. Und im Übrigen nicht nur in Bezug auf Klimaschutz, sondern auch auf Naturschutz. Wir müssen einen anderen Umgang mit Umwelt und Natur finden und das als Chance sehen für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Die notwendigen Rahmenbedingungen dafür haben wir.

Elements 3/25DoppelinterviewLatif und Rapior

»Wir müssen als Europäer unsere Stärken aus-spielen – und zwar gemeinsam.«

Majib Latif Professor am Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel

In Berlin wird derzeit allerdings diskutiert, ob wir uns angesichts der schwachen Konjunktur Klimaschutz im bisherigen Maß noch leisten können. Wie schaffen wir es, dass diese Begriffe nicht als Gegensatz wahrgenommen werden?

Rapior Wir haben bereits eine sehr aktive Start-up-­Szene, die beides in Einklang bringt. Junge Unternehmerinnen und Unternehmer denken Prozesse und Produkte neu, sodass wir zumindest kleine Fortschritte bei Klima- und Naturschutz erzielen. Auch etablierte Unternehmen tun sich hervor, etwa indem sie Klimaschutzprogramme umsetzen.

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Es passiert sehr viel. Wir sollten das Thema also nicht so problema­tisieren. Uns treffen gerade große Veränderungen, nennen wir sie Krisen. Aber Deutschland kann daraus gestärkt hervorgehen.

Bei vielen Unternehmen überwiegen die Bedenken, dass mehr Klimaschutz die Kosten in die Höhe treibt und die Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigt. Ist diese Argumentation gerade in Krisenzeiten nicht nachvollziehbar?

Latif Nein. Nehmen Sie die deutsche Automobil­industrie. Sie hat es immer vermieden, beim Umweltschutz voranzugehen, Selbstverpflichtungen hat sie selten eingehalten, dann kam der Dieselskandal … Die E-Mobilität hat sie derweil leider komplett verschlafen. In China boomen Elektrofahrzeuge. Wie wollen wir da mit unseren Verbrennern noch irgendwas ­werden? Es geht beim Klimaschutz nicht nur ums Klima – es geht um die Sicherung unseres Wohlstands. Es geht um Zukunftsfähigkeit. Und wir werden nur zukunftsfähig sein, wenn wir die globalen Trends erkennen. Einer davon ist die Elektrifizierung.

Frau Rapior, Sie waren an dem Start-up Kuyua beteiligt, das Natur- und Klimarisiken für Unternehmen analysiert. Auch Evonik zählt zu den Kunden. Ist der Wirtschaft bewusst, welche Gefahren und Kosten der Klimawandel und die Veränderung der Umwelt mit sich bringen?

Rapior Bei Klimarisiken ist das Bewusstsein ­stärker, weil viele schon heute von den Auswirkungen des Klima­wandels betroffen sind. Mit Kuyua habe ich gerade erst ein großes Projekt mit einem Unternehmen der Konsumgüterindustrie abgeschlossen, für die Hitze ein großes Problem darstellt: Manche Produkte verfallen ab einer gewissen Temperatur, und man kann sie dann nicht mehr verkaufen.

Damit das nicht passiert, muss die Logistik angepasst werden. Bei Überschwemmungen können Produktionsstätten womöglich monatelang nicht genutzt werden. Das ist richtig teuer. Im Bereich der Natur und der ­Biodiversität sind die Effekte eher indirekt. Textilunternehmen müssen sich auf Ausfälle in der Lieferkette einstellen, weil es zu wenig Insekten geben könnte, die Baumwollpflanzen bestäuben. Man muss heute handeln, um für morgen gewappnet zu sein.

Latifs rechte Hand
Portrait Myriam Rapior

»Es ist Aufgabe des Staats, uns vor negativen Folgen für Klima und Natur zu schützen.«

Myriam Rapior stellvertretende Bundesvorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland

Latif Das World Economic Forum fragt für ­seinen „Global Risk Report“ alle zwei Jahre knapp 1.000 Menschen in Wissenschaft und Wirtschaft nach den größten Risiken in den kommenden Jahren. Schon beim Zwei-Jahres-Horizont stehen Wetterextreme ziemlich weit oben, und mit Blick auf die nächsten zehn Jahre sind es eigentlich nur „grüne“ Themen, also Klima, Biodiversität und so weiter. Die Wirtschaft hat längst erkannt, wo die großen Risiken liegen.

Trotzdem wird aus Ihrer Sicht zu wenig gehandelt. Warum?

Latif Wir kommen von einem sehr hohen Wohlstandsniveau, deshalb sind die Menschen nicht bereit für Veränderungen. Aber Stillstand ist Rückschritt. Und deswegen ist es auch völlig falsch, dass die Bundes­regierung zum Beispiel durch Energiepreis- und Verkehrssubventionen weiter fossile Brennstoffe fördert.

Diskussionen wie die um eine Verschiebung des Verbrenner-Aus schaden der Wirtschaft, weil sie verunsichern. Mir haben Unternehmerinnen und Unternehmer im Vertrauen gesagt: „Wir kommen eigentlich mit allen Entscheidungen klar, aber wir brauchen feste Rahmenbedingungen.“

Rapior Hinzu kommen die unterschiedlichen Heran­gehensweisen auf nationaler und auf europäischer Ebene. Es ist für mich zum Beispiel absolut nicht nachvollziehbar, warum in der EU Subventionen für die Landwirtschaft weiterhin mit der Gießkanne verteilt werden. In der Zukunftskommission Landwirtschaft, die unter der Regierung von Angela Merkel eingesetzt wurde und deren Mitglied ich sein durfte, kamen wir in einem breiten gesellschaftlichen Bündnis aus Landwirtschaft, Wirtschaft, Wissenschaft und Umweltverbänden zu dem Ergebnis, dass diese Mittel nach ökologischen und sozialen Kriterien vergeben werden sollten. Umgesetzt wurde das bisher nicht. 

Myriam Rapiors gestikulierende Hände

Ist also eine engere Abstimmung der europäischen Staaten nötig?

Latif Auf jeden Fall. Die geopolitische Lage hat sich total verändert, und wir stehen als Europäer mehr oder weniger allein da. Wir müssen endlich unsere Stärken ausspielen – und zwar gemeinsam. Zum Beispiel im Energiesektor: Wir haben viel Sonne im Süden Europas, wir haben anderswo viel Fläche, wo man Windkraft erzeugen kann, und wir haben Erdwärme. Es wird unser wirtschaftlicher Vorteil sein, wenn wir diese kostengünstige Energie nutzen. Energie ist eine der großen Herausforderungen der Zukunft. Das erleben wir, seit Russland den Krieg gegen die Ukraine begonnen hat. Wir müssen endlich unabhängig und ein relevanter Player auf der globalen Bühne werden.

Erneuerbare Energien dienen dem Ziel, klima­neutral zu werden, können aber in Konflikt geraten mit dem Naturschutz: Die Energiepflanze Mais wird oft in Monokulturen angebaut, Windräder gefährden Wildvögel, Solaranlagen beschatten große Flächen. Wie kann man diese Aspekte besser zusammenbringen?

Rapior Es hilft niemandem etwas, wenn wir klima­neutral werden, aber unsere Natur zerstören. Wir brauchen im Moment zu viel Fläche zur Energieerzeugung. Der Naturaspekt kommt zu kurz. In den Planungen sollte von vornherein berücksichtigt ­werden, auch Lebensstrukturen für gefährdete Arten zu schaffen. Überhaupt sollten wir den Schutz der Natur ­stärker in den Blickpunkt rücken.

Dazu bedarf es auch ungewöhnlicher Maßnahmen, etwa eines Schutzstatus auf Zeit: Womöglich ist ein Unternehmen dazu bereit, eine momentan nicht benötigte Fläche zu renaturieren – aber nur vorübergehend.

Warum sollten dort nicht Habitate, Teiche, Trockenmauern und so weiter entstehen, damit sich dort Arten ansiedeln, und in 15 oder 20 Jahren kann das Unternehmen die Fläche anderweitig nutzen? Dafür muss eine Regelung her.

Myriam Rapior diskutiert

Latif Nichts ist zu 100 Prozent nachhaltig. Wir müssen immer zwischen zwei Übeln wählen. Nehmen Sie die Diskussion um die Umweltfreundlichkeit von Elektro­autos. Natürlich verbrauchen E-Autos Ressourcen, und gerade die Batterien stehen in der Kritik.

Bereits 1972 ging es beim Club of Rome um den Ressourcenverbrauch und darum, dass wir in eine Kreislaufwirtschaft kommen müssen. Elektromobilität ist schon mal ein halber Schritt dahin. Man kann die Batterien recyceln oder zum Teil auch wiederverwenden. Zudem wird längst an Batterien gearbeitet, die kein Lithium brauchen.

Worauf sollten wir unsere Anstrengungen konzentrieren – darauf, den Temperaturanstieg möglichst gering zu halten, oder auf eine bessere Anpassungsfähigkeit?

Latif Auf beides. Wir sollten alles tun, um den Ausstoß von Treibhausgasen zu verringern. Gleichzeitig müssen wir uns anpassen, weil wir den Temperatur­anstieg kurzfristig nicht stoppen können. Das sehen wir ja schon jetzt an Starkregenereignissen, die wir in der Form bislang in Deutschland nicht kannten.

Wir müssen der Natur wieder mehr Platz geben, denn sie ist der beste Schutz gegen Hitze, Überschwemmungen und so weiter. Im Moment sehe ich leider eher das Gegenteil. Wir versiegeln immer mehr, und dadurch werden die Auswirkungen noch schlimmer. Denken Sie an den Gendarmenmarkt in ­Berlin. Unglaublich! Ich weiß nicht, ob dort überhaupt ein Baum steht.

Städte müssen schwammfähig werden, und den besten Schwammeffekt bietet die Natur durch Bäume, Grünflächen und Ähnliches.

Majib Latif im Gespräch

Klima- und Naturschutz sind mit Kosten verbunden und treffen oft überproportional ärmere Bevölkerungsschichten. Wie kann es gelingen, dass die Gesellschaft als Ganzes mitzieht?

Rapior Innovationen sind häufig erst einmal teuer. Später, wenn sich über größere Stückzahlen Skalen­effekte einstellen, wird es günstiger. Das ist auch im Bereich Klima und Naturschutz so. Diese Phase muss der Staat mit Förderungen überbrücken. Es gibt Klima­ziele und Biodiversitätsziele, und Aufgabe des Staats ist es nun mal, diese Ziele einzuhalten, um uns vor negativen Folgen zu schützen. Jetzt Innovationen für mehr Nachhaltigkeit zu fördern bietet zudem eine große Chance: Es ist nur eine Frage der Zeit, dass diese Innovationen gefragt werden. Haben wir die passenden Produkte entwickelt, können wir sie dann in die Welt exportieren.

Latif Der Staat muss die Transformation unterstützen. Beispiel Elektromobilität: Ich habe mir vor zwei Jahren ein E-Auto gekauft. Da ich kein Eigenheim habe, bin ich wie viele auf eine gute Ladeinfrastruktur angewiesen. Für so etwas brauchen wir staatliche Fürsorge. Man kann nicht erwarten, dass das von allein kommt. Der Staat muss die Menschen in die Lage versetzen, nachhaltig zu sein – etwa Bioprodukte günstiger machen als konventionell hergestellte. Oder für gute Bahnverbindungen sorgen, damit Pendler nicht das Auto benutzen. Klimaschutz muss den Menschen Spaß bringen.

Welche nachhaltige Aktivität bringt Ihnen ­persönlich Spaß?

Latif Für mich ist es ein Gewinn, das Auto stehen zu lassen und mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren.

Rapior Ich liebe es, draußen zu sein. Es ist nichts schöner, als sich in intakter Natur zu erholen.

Die Gesprächsrunde
Grünfläche: Die beiden Umweltexperten sprachen mit den Elements-­Redakteu-ren Bernd Kaltwaßer (l.) und Christian Baulig im dschungelartig gestalteten Pausenbereich der Hamburger Agentur KNSK, die das Magazin produziert.