Ob in der Industrie oder im Haushalt – überall geht Energie als Abwärme verloren. Thermoelektrische Generatoren können diese in Strom verwandeln. Doch bisher war ihre Produktion aufwendig und teuer. Experten haben nun einen vollautomatisierten Herstellungsprozess entwickelt, der großes Potenzial für die Energierückgewinnung birgt.
Während die Pizza auf dem Blech knusprig backt, erzeugt der Ofen viel heiße Luft. Sobald sich die Ofentür öffnet, geht diese an die Umgebung verloren. Kühlschränke geben Wärme ab, damit es im Inneren kalt bleibt, und auch beim Autofahren entweicht durch den Auspuff konstant Wärme. Bei Industrieprozessen findet das im großen Maßstab statt: Ob bei Motoren, in Pumpen oder Ölraffinerien, überall fällt massenhaft Energie an, die als Abwärme abgegeben wird. Allein in Deutschland könnten Jahr für Jahr 300 Terawattstunden weiterverwendet werden – das würde den hiesigen Stromverbrauch von etwa sieben Monaten decken. Weltweit liegt das Einsparpotenzial Schätzungen zufolge jährlich bei rund 57 Milliarden US-$.
THERMOELEKTRISCHE GENERATOREN VERWANDELN WÄRME IN STROM
Um Abwärme künftig besser zu nutzen, untersuchen Forscher verschiedene Lösungen. Eine vielversprechende Möglichkeit bietet die Umwandlung von Wärme in elektrische Energie. Thermoelektrische Generatoren, TEG genannt, können selbst aus kleinen Temperaturdifferenzen Strom erzeugen. Ein Team aus Forschern der Creavis, der strategischen Innovationseinheit von Evonik, und der Verfahrenstechnik als proaktivem Technologieentwickler im Konzern hat einen vollautomatisierten Herstellungsprozess für diese Technologie entwickelt, sodass sie künftig eine größere Rolle bei der Rückgewinnung von Energie spielen könnte.
Ein thermoelektrischer Generator ist simpel aufgebaut: Er besteht aus zwei unterschiedlichen Halbleitern, die durch einen elektrischen Schaltkreis miteinander verbunden sind. Einer der Schenkel dient als n-Halbleiter (n steht für negativ), der andere als p-Halbleiter (p steht für positiv). Wird eine Seite der beiden Schenkel erhitzt, erhalten die dortigen Elektronen zusätzliche Energie. Die Folge: Mehr Ladungsträger bewegen sich vom heißen zum kalten Ende als in umgekehrter Richtung. Am kalten Ende des n-Schenkels sammelt sich also negative Ladung, an dem des p-Schenkels positive. Zwischen den Schenkeln herrscht somit eine elektrische Spannung. Diese beträgt allerdings bloß wenige Mikrovolt pro Grad Celsius Temperaturunterschied. Deshalb muss eine große Anzahl an Schenkelpaaren in Reihe geschaltet werden, damit nutzbare Mengen an Strom erzeugt werden können.
VOLLAUTOMATISCHER HERSTELLUNGSPROZESS
So einfach das Verfahren erscheint, so kompliziert ist die Umsetzung. Das größte Problem: der Herstellungsprozess der Generatoren. Die Schenkel der thermoelektrischen Generatoren – wenige Millimeter lange Bauteile – mussten bisher in Handarbeit an ein Trägermaterial angebracht werden. TEG in größeren Stückzahlen zu produzieren war aufwendig und kostspielig. In Nischenanwendungen haben thermoelektrische Generatoren ihre Effektivität jedoch bereits seit Längerem bewiesen. An Bord der Raumsonde Voyager 1 etwa verwandeln sie – 15 Milliarden Kilometer von der Erde entfernt – seit 20 Jahren zuverlässig Wärme von zerfallenen Radioisotopen in Strom.
Creavis-Wissenschaftler wollten dieses Potenzial auch für irdische Anwendungen nutzen und begannen damit, einen wirtschaftlichen Herstellungsprozess für thermoelektrische Generatoren zu entwickeln. „Die Idee ist entstanden, als unser Unternehmen noch im Energiebereich tätig war und seine Kraftwerke so umweltfreundlich wie möglich betreiben wollte“, erklärt Dirk Lehmann, Leiter Business & Launch Management. Nach Abwägung der Vor- und Nachteile waren die thermoelektrischen Generatoren das System der Wahl: Sie kommen ohne mechanische Bewegungen aus, wandeln den Wärmefluss auf direktem Weg um, sind mit anderen Systemen kombinierbar, kompakt und im Betrieb sehr zuverlässig. Zudem haben sie lange Wartungsintervalle. „Um den Prozess für größere Produktionsmengen nutzbar zu machen, haben wir uns verschiedene Innovationsmöglichkeiten angesehen“, so Lehmann.
Vor allem galt es, den Anteil der Handarbeit zu reduzieren. Die Forscher entschieden sich dafür, die Halbleiter für die Generatoren zu Pulver zu mahlen und anschließend in eine Tablettenform zu füllen. Darin werden sie zu Schenkeln kalt gepresst. „Hier zeigt sich schon der erste Vorteil unseres Prozesses“, erklärt Patrik Stenner, Leiter Exploration & Electrochemistry in der Verfahrenstechnik. „Wir müssen die Schenkel nicht mehr aus dem Vollen zuschneiden – und verlieren somit kein Material.“
Anschließend fügt ein Roboter die Schenkel vollautomatisch in die zuvor gebohrten Löcher eines speziellen Trägermaterials ein. So entsteht in nur kurzer Zeit das Grundgerüst des Moduls. Dieses wird im Ofen gesintert: Schenkel und das Trägermaterial werden „zusammengebacken“, also stabil miteinander verbunden. Anschließend wird das Modul poliert, damit keine Verschmutzungen den Wirkungsgrad senken. „Nun muss das Bauteil noch geschützt und leitfähig gemacht werden“, erklärt Stenner. Bei der Metallisierung des Generators werden dünne Metallschichten auf die Schenkel aufgetragen. Nickel schützt den Halbleiter vor Zerstörung durch Diffusion von Fremdmetallen in das Material. Kupfer dient als Kontaktschicht für die elektrische Anbindung. Um die Schenkel in Reihe zu schalten, werden zudem sogenannte Brücken aufgesetzt. Eine schwarze Deckschicht isoliert das Modul und bietet Korrosionsschutz. Zum Abschluss werden Drähte an die Modulkontakte angeschlossen.
Obwohl in einem Modul 64 Schenkel in Reihe geschaltet werden, ist der einsatzfähige Generator gerade einmal halb so groß wie ein Fünf-₤-Schein. Das macht ihn in der Anwendung flexibel. Wird eine größere Menge elektrischer Strom benötigt, können mehrere Generatoren miteinander verbunden werden. Außerdem sind sie mit anderen Systemen zur Abwärmenutzung kombinierbar. Dank des neuen Herstellungsprozesses und des besonderen Trägermaterials sind die thermoelektrischen Generatoren äußerst robust und funktionieren bei bis zu 260 Grad Celsius. Herkömmliche TEG lassen sich nur bis 200 Grad einsetzen. Bei höheren Temperaturen, wie sie etwa bei der Herstellung und Verarbeitung von Zement, Glas, Keramik oder Metall entstehen, wird das TEG in Teilen der Anlage eingesetzt, wo die Hitze weniger stark ist.
Der größte Vorteil der neuen Produktionsweise liegt Dirk Lehmann zufolge im höheren Tempo: „Unser vollautomatisches Verfahren beschleunigt die Herstellung der Generatoren.“ Und hilft, die Preise zu senken: Bis zu zwei Drittel der Produktionskosten lassen sich durch den neuen Herstellungsprozess einsparen.
AUFWENDIGE FORSCHUNGSARBEIT VON CREAVIS UND VERFAHRENSTECHNIK
In diesen Erfolg haben die Creavis-Wissenschaftler gemeinsam mit den Experten der Verfahrenstechnik viel Arbeit gesteckt. Zum einen musste der Prozess entwickelt und perfektioniert werden. Zum anderen mussten die Forscher den Beweis liefern, dass sowohl das Verfahren als auch die damit produzierten Generatoren zuverlässig funktionieren. Dazu stellten sie eine Miniserie mit 1.000 Prototypen her und führten Feldtests durch. Eine Herausforderung brachte das Einsetzen der Schenkel in den Träger mit sich. Dieser Prozessschritt lief zunächst reibungslos. Doch beim 300. Generator fielen die Schenkel plötzlich durch die zuvor gebohrten Löcher. Der Grund: Der Bohrer war mit der Zeit stumpf geworden und hat die mikrometergenau zu fertigenden Löcher geweitet. Ein neues Material für das Werkzeug musste gefunden werden. „Jetzt haben wir einen optimalen Prozess, der in großen Serien funktioniert“, so Lehmann. Für seine Leistung wurde das Team 2016 mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis in der Kategorie „Forschung“ ausgezeichnet.
Die Verfahrenstechnik von Evonik arbeitet nun daran, die Generatoren konzernweit in verschiedenen Anlagen zu testen – zum Beispiel in einer Produktionsanlage in Rheinfelden, wo Abwärme genutzt werden soll. Einzelne TEG werden dafür zu einem großen Modul zusammengesetzt. Bei einem Temperaturunterschied von circa 70 Grad Celsius gegenüber der Umgebung kann so Strom erzeugt werden, um lokale Messvorrichtungen zu versorgen. „Die Generatoren werden einen wichtigen Beitrag zur ressourceneffizienten Produktion unserer Anlagen leisten“, sagt Patrik Stenner.
Damit ist das Potenzial jedoch noch nicht ausgeschöpft. Dass die Ausgangsmodule so klein sind, macht die Generatoren auch für den Einsatz in autonomen Energiesystemen interessant – beispielsweise in gasbetriebenen Heizgebläsen, wie sie in Großzelten für Notunterkünfte verwendet werden. So ließe sich auch abseits von Energienetzen autark Strom erzeugen.
THERMOELEKTRIK KÜHLT UND WÄRMT
In Zukunft könnte der verschlankte Produktionsprozess auch für Module eingesetzt werden, die das Prinzip der thermoelektrischen Generatoren umdrehen und aus Strom Wärme (oder Kälte) erzeugen. Dadurch eröffnen sich weitere Märkte, zum Beispiel in Elektroautos. „Die Automobilindustrie steht vor der Herausforderung, die Lithium-Ionen-Batterien in den Fahrzeugen durch Temperierung effizienter zu machen oder zum Beispiel eine Sitzheizung zu betreiben“, erklärt Lehmann.
Bislang hat Evonik einige Tausend TEG hergestellt. Um eine Produktion in großen Stückzahlen zu ermöglichen und die Technologie in möglichst viele Anwendungsbereiche einzuführen, sucht Evonik jedoch einen Abnehmer für den Herstellungsprozess. „Die Produktion und der Vertrieb von thermoelektrischen Generatoren sind nicht die Kernkompetenz von Evonik als Chemieunternehmen“, erklärt Lehmann. „Wir glauben jedoch an unser Verfahren und wollen auch anderen die Möglichkeit geben, von unserer Arbeit zu profitieren.“
PRESSEN, BACKEN, KLEBEN
Um TEG wirtschaftlich herzustellen, mussten die Wissenschaftler der Creavis und der Verfahrenstechnik vor allem den Anteil der Handarbeit reduzieren. Dafür setzten sie unter anderem auf den Einsatz von Robotern. So werden die Produktionskosten um bis zu zwei Drittel gesenkt.
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UNTER SPANNUNG
1821 entdeckte der Physiker und Arzt Thomas Johann Seebeck den sogenannten Seebeck-Effekt, der in thermoelektrischen Generatoren zur Stromerzeugung genutzt wird. Diese bestehen aus zwei Halbleitern, die durch einen Schaltkreis miteinander verbunden sind. Wird eine Seite erhitzt, so wandern die Elektronen im n-Schenkel zum kalten Ende. Im p-Schenkel hingegen wandern die Elektronen aufgrund von Elektronenlöchern zur warmen Seite. An einem Halbleiter sammelt sich so negative und am anderen positive Ladung. Zwischen den Schenkeln entsteht dadurch eine elektrische Spannung. Die Bestandteile der Generatoren werden durch eine angelötete Kontaktbrücke miteinander verbunden. Eine Diffusionsbarriere verhindert, dass sich Stoffe in den unterschiedlichen Bestandteilen mit der Zeit vermischen.
AUSPUFFANLAGEN
Künftig könnten TEG im Abgasstrang von Fahrzeugen genutzt werden. Hier entstehen Temperaturen von bis zu 300 Grad. In Lastzuständen über die maximale Einsatztemperatur wird zum Schutz der Generatoren ein Teil des Abgasstroms vorbeigeleitet. Die Herausforderungen für die TEG: Vibrationen und Stöße auf unebenen Straßen, wenig Platz für die Installation sowie häufige, unregelmäßige Temperaturwechsel.
INDUSTRIELLE PROZESSE
Kraftwerke auf Basis fossiler Brennstoffe und viele Industriebetriebe erzeugen große Mengen an Abwärme und bieten ein attraktives Einsatzgebiet für die thermoelektrischen Generatoren. Öfen in Stahlwerken erreichen beispielsweise bis zu 1.300 Grad Celsius. Unter diesen erschwerten Bedingungen müssen die Generatoren über eine lange Zeit stabil und robust gegenüber mechanischen Einwirkungen und Korrosion bleiben.
AUTARKE ENERGIEERZEUGUNG
Dass thermoelektrische Generatoren so klein sind, macht sie auch für den Einsatz in autonomen Energiesystemen interessant. Etwa in Heizgeräten, bei denen Luft mithilfe von Propangas auf bis zu 95 Grad erhitzt wird. TEG könnten zusätzlich elektrischen Strom erzeugen, sodass auch fernab von Leitungsnetzen die Energieversorgung gesichert wäre.