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Carbon2Chem: Rohstoffe aus Abgasen

Lesedauer 8 min
03. März 2021

Emissionen der Stahlindustrie nutzen, um daraus Kunststoff herzustellen: An diesem Fernziel arbeitet Evonik gemeinsam mit Partnern im Verbundprojekt Carbon2Chem. Der Weg dorthin führt über höhere Alkohole wie Ethanol – und Katalysatoren, die in Hanau entwickelt werden.

Der Himmel über der Ruhr glüht nicht mehr wie früher in der Nacht. Doch wenn im Stahlwerk in Duisburg der Hochofen angestochen wird, ist das immer noch weithin sichtbar. Thyssenkrupp produziert hier rund zehn Millionen Tonnen Stahl im Jahr. Während dem Eisenerz in der sogenannten Verhüttung mithilfe von Kokskohle der Sauerstoff entrissen wird, entsteht Hüttengas. Und zwar in riesigen Mengen.

Dieses Gasgemisch enthält neben 40 Prozent Stickstoff im Wesentlichen Kohlendioxid (CO₂), Kohlenmonoxid (CO) und Wasserstoff (H₂). Schon heute wird es als wichtiger Rohstoff für die Energiegewinnung eingesetzt. Durch die Verbrennung des Hüttengases erzeugt Thyssenkrupp Wärme und deckt seinen kompletten Strombedarf in Duisburg. Doch am Ende werden im dortigen Werk immer noch jährlich 20 Millionen Tonnen Kohlendioxid frei. Das entspricht rund 2,5 Prozent der deutschen CO₂-Emissionen. Weltweit entfallen etwa acht Prozent des Kohlendioxidausstoßes auf die Stahlproduktion.

Das Forschungsprojekt Carbon2Chem, an dem Evonik beteiligt ist, sucht daher nach Wegen, den Kohlenstoff und andere Bestandteile des Hüttengases für die Herstellung von Chemikalien zu nutzen. Das Ziel ist klar: Je besser das Gas verwertet wird, desto weniger CO₂ gelangt in die Atmosphäre und desto weniger fossile Rohstoffe werden benötigt.

Das Projekt steht auf einer breiten Basis. Neben Thyssenkrupp und Evonik sind fast 20 Partner aus der Chemie-, Energie- und Stahlwirtschaft sowie aus der akademischen Forschung an Carbon2Chem beteiligt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert das Projekt mit insgesamt rund 140 Millionen €. Nach der ersten Phase, die 2016 gestartet war und mit vielversprechenden Ergebnissen abgeschlossen wurde, läuft nun die zweite Phase an.  

BEWÄHRTE TECHNIK, NEUE ANFORDERUNGEN

Die chemischen Grundlagen für die Umwandlung von Hüttengas in eine Vielzahl von Chemikalien sind seit mehr als 100 Jahren bekannt. Gasmischungen aus CO, CO₂ und H₂ nutzt die chemische Industrie als sogenanntes Synthesegas unter anderem für die Herstellung von Methanol bereits seit Langem in großtechnischem Maßstab. Eine der wesentlichen Herausforderungen für die Forscher im Carbon2Chem-Projekt ist die Aufbereitung des Hüttengases und die Anpassung der erprobten Prozesse an das Synthesegas aus der Stahlproduktion.

Für eine neue Technologie leistet Evonik in einem Teilprojekt Pionierarbeit. Das Spezialchemieunternehmen entwickelt Katalysatoren, die CO und H₂ als wesentliche Bestandteile des Hüttengases in sogenannte höhere Alkohole überführen sollen, die auf diesem Wege bisher nicht zugänglich waren (siehe Infokasten auf Seite 39). Im weiteren Verlauf möchte das Projektteam im besten Fall auch CO₂ direkt verwerten können.

Dr. Bernd Jaeger, der bei Evonik die Katalysatorforschung leitet, bezeichnet die anstehende Transformation der Chemieindustrie als den Treiber für diese Forschung. „Der Ersatz fossiler Rohstoffquellen durch nachhaltige und CO₂-neutrale Einsatzstoffe wird die bestehenden Stoffströme in unserer Industrie verändern“, sagt Jaeger. Höhere Alkohole könnten eine Schlüsselstellung in dieser Wertschöpfungskette einnehmen. „Noch fehlt es jedoch an einem wirtschaftlichen und selektiven chemischen Herstellverfahren“, so Jaeger. Hier greift die Idee der Evonik-Forschung, maßgeschneiderte Katalysatoren zu entwerfen, die genau diesen fehlenden Schritt zu einer nachhaltigen Wertschöpfungskette direkt aus Hüttengasen und Kohlendioxid ermöglichen.

Katalysatoren senken den Energieaufwand für den Start chemischer Reaktionen, beschleunigen diese damit und machen sie effizienter. Manchmal ermöglichen sie eine Reaktion überhaupt erst. So auch hier. „Kohlenmonoxid- und Wasserstoffmoleküle kämen von sich aus gar nicht darauf, sich zu größeren Molekülen zusammenzutun“, sagt Dr. Dorit Wolf. „Der Katalysator gibt ihnen dazu die nötige Hilfestellung.“ Die Chemikerin leitet bei Evonik die Forschungsabteilung für Prozesskatalysatoren und koordiniert von Hanau aus die Forschungskooperation zwischen Thyssenkrupp Industrial Solutions, Evonik und Forschungseinrichtungen für das „Höhere Alkohole“-Projekt.

Das Hanauer Team hat in den vergangenen Jahren schon etliche Katalysatorkandidaten hervorgebracht. Sie bestehen aus schwarzem Pulver und sehen recht unspektakulär aus. Umso mehr fällt der Behälter mit dem violetten Inhalt auf, der im Abzug des Labors steht. „Das ist ein Kobaltsalz, das wir als Rohstoff einsetzen“, erklärt Dr. Arne Reinsdorf, Leiter der Entwicklung von Mischmetallkatalysatoren, und lüftet damit einen Teil des Geheimnisses aller bisherigen Katalysatoransätze. „Es handelt sich stets um Kombinationen von Kobalt und Kupfer, jeweils eingebunden in eine Kohlenstoffmatrix.“

Schematische Darstellung der Reaktionsprozesse.

EIN MIX AUS KUPFER UND KOBALT

Um aus einem Molekül wie CO höhere Alkohole zu machen, muss ein Katalysator eine Reihe ganz unterschiedlicher Reaktionsschritte ermöglichen (siehe Infografik). Dafür benötigen die Wissenschaftler verschiedene aktive Zentren auf dessen Oberfläche. Ein homogenes Material aus nur einer Substanz würde das nicht leisten. Daher setzt das Team auf die Kombination aus Kobalt und Kupfer.

Die Wahl kommt nicht von ungefähr. Vielmehr greifen die Experten auf Wissen zurück, das man zuvor bei ähnlichen Prozessen gewonnen hat. Kobaltkatalysatoren haben sich bei der Überführung von Synthesegas in längerkettige Kohlenwasserstoffe bewährt, im sogenannten Fischer-Tropsch-Verfahren.

 

Eine Laborantin greift unter einem Schutzfenster hindurch in einen Schrank.

Kupfer wiederum ist eine erprobte Komponente für die Gewinnung von Methanol, dem einfachsten Alkohol. „Bei der Synthese höherer Alkohole versuchen wir, diese beiden schon etablierten Verfahren so miteinander zu vereinen, dass zunächst Kohlen wasserstoffketten gebildet werden, die am Ende dann noch die alkoholtypische OH-Gruppe erhalten“, sagt Reinsdorf.

Mit der Idee, eine Kobalt-Kupfer-Kombination zu nutzen, begann aber erst die Detailarbeit. Da waren zum Beispiel die Fragen nach dem optimalen Mengenverhältnis der beiden Elemente, nach optimalen chemischen Strukturen, in denen sie vorliegen sollten, etwa als Metall oder in oxidischer Form, getrennt in einzelne Partikel oder als Mischphase. Außerdem wusste man zwar, dass dem Katalysator eine Spur Mangan auf die Sprünge hilft, aber ob man dieses besser auf, neben oder zwischen den Kupfer-Kobalt-Partikeln positioniert, musste erst geklärt werden.

 

In zahlreichen Tests haben die Forscher bereits die optimalen Mengenverhältnisse ermittelt. Hierbei half das Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT in Oberhausen. Dort werden die Katalysatormuster aus Hanau in einem Parallelreaktorsystem aus Edelstahl auf die Probe gestellt. Bei genau definierten Temperatur- und Druckbedingungen leiten die Experten Synthesegas durch die Reaktoren, analysieren anschließend, welche Substanzen entstanden sind – und in welcher Menge.

Nur solche Katalysatoren, die sich beim Fraunhofer UMSICHT bewährt haben, sollen nun in der zweiten Projektphase bei Thyssenkrupp in Duisburg einer weiteren Teststufe unterzogen werden. In dem dort eigens für das Carbon2Chem-Projekt errichteten Technikum gibt es einen ähnlichen Versuchsaufbau mit drei wichtigen Unterschieden: Die Reaktoren sind größer, das zugeführte Synthesegas wird direkt aus dem Hüttengas des benachbarten Stahlwerks gewonnen, und die Testreihen sollen deutlich länger laufen, um die Lebensdauer der Katalysatoren zu untersuchen.

Die Ergebnisse erster Testreihen mit gut 40 Katalysatorvarianten aus Hanau waren eindeutig: Es gelingt tatsächlich, höhere Alkohole aus Synthesegas herzustellen. Ein wichtiger Erfolg, doch bisher entstanden im Prozess zu viele unerwünschte Nebenprodukte: insbesondere Methan und kurzkettige Alkane. Die neueste Katalysatorgeneration schafft einen Anteil an höheren Alkoholen von über 50 Prozent. „Damit haben wir das Ziel der ersten Projektphase erreicht“, sagt Wolf. Ganz zufrieden ist sie aber immer noch nicht. „Wir brauchen eine höhere Selektivität und noch bessere Ausbeuten.“

Eine weiß-graue maschine mit Edelstahlfront: ein Rheometer.

Höhere Alkohole

Als höhere Alkohole gelten Alkohole mit mehr als einem Kohlenstoffatom. Die einfachste Variante ist Ethanol, das wir aus alkoholischen Getränken kennen und das bei der alkoholischen Gärung entsteht. Ethanol spielt auch bei vielen chemischen Synthesen und als Kraftstoffzusatz (E5, E10) eine Rolle. Andere höhere Alkohole dienen unter anderem als Vorstufen für die Herstellung von Wirkstoffen für die Pharmazie oder den Pflanzenschutz, von Tensiden für Cremes, Salben oder Waschmittel oder auch von Lösungsmitteln und Weichmachern für Kunststoffe. Von einigen Alkoholen werden jährlich mehrere Millionen Tonnen hergestellt.

Während man einige kurzkettige Alkohole bisher vor allem über die Fermentation von Biomasse gewinnt, ist die Synthese längerer Alkohole erdölbasiert. In beiden Fällen kann der Weg über Synthesegas (aus Abfällen) eine nachhaltige Alternative sein.

EINBINDUNG VON KOHLENDIOXID

Deswegen arbeiten die Experten weiter an der Optimierung des Katalysators. Dass ein Mengenverhältnis von Kobalt zu Kupfer von vier zu eins gut funktioniert, wissen sie aus den ersten Versuchsreihen. Jetzt untersuchen sie gezielt Prozessbedingungen wie Druck, Temperatur oder Verweilzeit im Reaktor. Zudem könnte die Größe der Metallkristallite und damit einhergehend das Auftreten von Kristallflächen, -ecken und -kanten im Pulver von Bedeutung sein. Um dies mithilfe von Experimenten besser zu verstehen, arbeiten die Evonik-Forscher mit Experten der Ruhr-Universität Bochum und der RWTH Aachen zusammen.

Parallel dazu beschäftigen sich Dorit Wolf und Arne Reinsdorf mit einem weiteren Thema: auch Kohlendioxid für die Reaktion zu nutzen. Das war bei den bisherigen Tests nicht im verwendeten Synthesegas enthalten, ist aber ein Hauptbestandteil von Hüttengas. „Wir versuchen derzeit, unseren Katalysator so zu designen, dass CO₂ in die Synthese miteingebaut werden kann“, sagt Wolf und gibt zu bedenken: „Das ist alles andere als trivial.“ Sollte dies gelingen, ließen sich künftig auch andere CO₂-haltige Gasgemische als Rohstoff für das Verfahren nutzen.

Zunächst aber gilt es jetzt, die Selektivität des Katalysators zu erhöhen. Dabei wollen die Forscher nicht nur die Ausbeute an höheren Alkoholen steigern, sondern auch die Länge der entstehenden Molekülketten besser steuern können. Bisher reichte die Verteilung der Kettenlängen in den Produktmischungen von Ethanol (mit zwei C-Atomen) bis Hexanol (mit sechs C-Atomen). Für spätere Anwender der Technologie wäre es jedoch sehr nützlich, die Länge der Ketten gezielt kontrollieren zu können.

Vier Gläser mit unterschiedlich gefärbten Pulvern.
Alternativbild

»Wir brauchen eine höhere Selektivität und noch bessere Ausbeuten.«

DORIT WOLF LEITERIN DER FORSCHUNGSABTEILUNG FÜR PROZESSKATALYSATOREN BEI EVONIK

Denn Alkohole sind, je nach Kettenlänge, für ganz unterschiedliche Marktteilnehmer interessant. Während die längeren Alkohole vor  allem von Herstellern in der Spezialchemie nachgefragt werden, ließen sich kürzere Alkohole wie Ethanol oder Propanol in der Produktion von synthetischen Kraftstoffen oder Monomeren für Polyolefine einsetzen. Bernd Jaeger sieht hier ein großes Potenzial für eine Katalysatorplattform: „Im besten Fall bieten wir künftig eine ganze Palette maßgeschneiderter Versionen an, aus der sich jeder Anwender die für seine Anforderungen passende auswählen kann.“

ANDERE ROHSTOFFQUELLEN SIND MÖGLICH

Jaeger denkt noch einen Schritt weiter: „Am Ende muss es natürlich das Ziel sein, Stoffkreisläufe zu schließen“, sagt er. Und genau dazu könnte das im Höhere-Alkohole- Projekt entwickelte Verfahren eines Tages beitragen. „Wir entwickeln eine Technologie für die Verwertung von Synthesegas, und das kann auch aus anderen Quellen stammen.“ Sobald das Verfahren steht, kämen auch Biogasanlagen als Rohstoffquelle in Betracht.

In Zukunft könnten auch Kunststoffabfälle die gewünschte Gasmischung liefern, indem man sie bei hoher Temperatur und hohem Druck mit kleinen Mengen Sauerstoff zerlegt. Einige Unternehmen arbeiten derzeit daran, diese sogenannte Gasifizierung in den industriellen Maßstab zu überführen. „Das wäre etwa für mechanisch nicht rezyklierbare Abfallströme interessant“, sagt Jaeger und meint dabei insbesondere verunreinigte oder gemischte Abfälle, die die Kunststoffe Polyethylen oder Polypropylen enthalten. „Gerade diese beiden Polymere werden in großen Mengen produziert, aber bisher kaum chemisch recycelt“, so Jaeger.

Beide Polymertypen lassen sich prinzipiell auch aus zwei höheren Alkoholen gewinnen: aus Ethanol beziehungsweise Propanol. Die Alkohole werden dabei zunächst in Ethylen und Propylen überführt, die bisher aus Erdöl gewonnen werden. Aus den Einzelbausteinen Ethylen und Propylen könnten dann wieder neue Polymere entstehen und damit neue Kunststoffprodukte. Ein Stoffkreislauf wäre geschlossen.

Ein Drehofen bei der Trocknung.

Carbon2Chem

Kohlenstoff nicht mehr zu emittieren, sondern im Kreislauf zu führen – das ist das wesentliche Ziel des Projekts Carbon2Chem. Dazu sollen Technologien entwickelt werden, die die stoffliche Verwertung des bei der Stahlproduktion entstehenden Hüttengases ermöglichen. Fast 20 Partner aus der Chemie-, Energie- und Stahlwirtschaft, darunter auch Evonik, sowie Forschungseinrichtungen widmen sich in diversen Teilprojekten speziellen Fragestellungen. Unter anderem geht es darum, aus Hüttengaskomponenten wichtige Chemikalien wie Ammoniak,  Methanol oder höhere Alkohole herzustellen. Ein weiteres Teilprojekt arbeitet an geeigneten Verfahren für die Auftrennung der im Hüttengas enthaltenen Substanzen.

Die erste Projektphase von 2016 bis 2020 hatte ein Budget von etwa 120 Millionen €, von denen mehr als 60 Millionen durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) getragen wurden. Der Finanzrahmen für die zweite Phase von 2020 bis 2025 ist noch größer und wird vom BMBF mit bis zu 75 Millionen € unterstützt.

Das Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung unter den Kennzeichen 03EK3041A (2016 – 2020) und 03EW0008A (2020 – 2023) gefördert.

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