Die Aminosäure Methionin erhöht die Nachhaltigkeit der landwirtschaftlichen Tierhaltung. Eine Erweiterung der Produktionsanlagen in Singapur nutzt Evonik jetzt dafür, auch den CO₂-Fußabdruck der Futtermittelzutat signifikant zu verringern.
Der Lärm von Baumaschinen kündigt im Werk von Evonik Animal Nutrition auf Jurong Island die Zukunft an: Auf der Insel im Südwesten des Stadtstaats Singapur ebnen Bagger an einer Stelle am Rand des Werks gerade eine Fläche ein. Hier soll bald eine Dampfturbine installiert werden. An einer anderen Stelle markieren Pfähle, wo in einigen Monaten ein neues Anlagengebäude stehen wird. Und auch ein Rasenstück wird in Kürze weichen – für eine Elektrolyseanlage, die vom kommenden Jahr an sogenannten grünen Wasserstoff liefern soll. Er soll die Produktion von Methionin, einer wichtigen Aminosäure für Tierfutter, klimafreundlicher machen.
„Wir nutzen eine anstehende Kapazitätserweiterung unserer Methioninproduktion dazu, den Gesamtprozess an unserem Standort in Singapur zu optimieren – unter Aspekten der Energie- und Rohstoffeffizienz“, sagt Dr. Jan-Olaf Barth, der bei Evonik Animal Nutrition die Product Line Essential Nutrition leitet. In den Prozessen soll künftig statt fossiler Energieträger verstärkt Strom aus erneuerbaren Quellen zum Einsatz kommen. In dem südostasiatischen Land sei Evonik damit Vorreiter, so Barth: „Wir werden eines der ersten Großunternehmen in Singapur sein, die auf grünen Wasserstoff setzen.“ Bislang kommt vor allem „grauer“ Wasserstoff zum Einsatz, der aus Erdgas, Kohle oder Öl gewonnen wird.
Um die Produktion auf Jurong Island umweltschondender zu gestalten, arbeitet Evonik mit dem deutsch-amerkanischen Industriegaskonzern Linde zusammen, der die Elektrolyseanlage errichtet. „Wir haben uns für eine Technologie entschieden, die besonders zukunftsfähig ist und uns auf lange Sicht Kostenvorteile bringt“, sagt Projektdirektor Dr. Christof Grüner, der auf Jurong Island dafür sorgt, dass die von Evonik eingesetzte Technik auf dem neuesten Stand ist. Den grünen Wasserstoff nutzt Evonik, um daraus Methylmercaptan herzustellen, ein Vorprodukt für sogenanntes DL-Methionin.
CO₂-Ausstoß halbiert
Innerhalb eines internationalen Projektteams kümmern sich Dr. Henning Kaemmerer und seine beiden Kollegen Poh Leng Teh und Foo Chay Chong um die Umsetzung der verschiedenen Bauvorhaben. Die Prozessexperten stehen dabei vor besonderen Herausforderungen: „Nicht nur die Elektrolyse, auch alle anderen Teilprojekte müssen im kommenden Winter so weit fortgeschritten sein, dass wir sie während eines Wartungsstillstands unserer Methioninproduktion in den Prozess integrieren können“, sagt Kaemmerer. Dazu ist engste Abstimmung mit Standortleiter Kevin Kennedy erforderlich.
Evonik verspricht sich viel von der Umrüstung der Methioninproduktion. Die hinzukommenden 40.000 Tonnen Metamino pro Jahr sollen mit einem nur noch halb so großen spezifischen CO₂-Fußabdruck hergestellt werden wie bisher. Bezogen auf die Gesamtmenge von 340.000 Tonnen aus zwei Anlagen ergibt sich eine Verringerung um sechs Prozent.
Das Projekt in Singapur ist Teil der grünen Transformation, die der Konzern 2022 eingeleitet hat. Ihr Name: Next Generation Evonik. Sie zielt in zwei Richtungen: die Produktion klimafreundlicher gestalten und den Umsatz mit nachhaltigen Innovationen steigern. Metamino, das DL-Methionin von Evonik, liefert bereits seit Jahrzehnten einen wichtigen Beitrag zu einer nachhaltigen Landwirtschaft. Nutztiere nehmen Methionin mit der Nahrung auf. Fehlt es an dieser essenziellen Aminosäure, können andere Nahrungsbestandteile nicht optimal verwertet werden. Häufig enthalten die pflanzlichen Bestandteile des Futters im Verhältnis zu anderen Aminosäuren zu wenig Methionin. Die Folge: Das Tier scheidet alle nicht verwertbaren Futterbestandteile wieder aus. Das ist weder umweltfreundlich noch kosteneffizient.
Durch einen kleinen Zusatz von Methionin im Tierfutter kann die Menge an anderen Futtermittelrohstoffen deutlich reduziert werden. Das spart landwirtschaftliche Fläche für den Anbau von Soja oder Hülsenfrüchten und mindert Stickstoffemissionen aus der Tierhaltung. Der Effekt auf die Nachhaltigkeit ist also positiv. Das belegen mehrere zertifizierte Ökobilanzen. „Wenn wir mit begrenzten natürlichen Ressourcen eine wachsende Weltbevölkerung mit hochwertigem tierischen Protein versorgen wollen, müssen wir das so effizient wie möglich tun“, sagt Barth. Evonik Animal Nutrition gehört zur Division Nutrition & Care, der Life-Science-Division von Evonik. Sie ist komplett darauf ausgerichtet, das Leben von Mensch und Tier zu verbessern – mit Lösungen, die auch in Sachen Nachhaltigkeit Vorteile bringen.
Laufend Verbesserungen
Um bei der Produktion Ressourcen zu schonen, verbessert Evonik den Herstellprozess von Metamino immer weiter. So ist die Business Line Animal Nutrition mit ihren Methioninanlagen in Antwerpen (Belgien), Mobile (Alabama, USA) und Singapur im globalen Wettbewerb in puncto Technologie, Produktionsmenge und Effizienz stets führend geblieben. Die Grundlage dafür erarbeiten Menschen wie Dr. Martin Köstner, der zur Forschung und Entwicklung von Evonik gehört und dort für Innovation und Technologie von Animal Nutrition zuständig ist. Seit einigen Jahren kümmert sich sein Team darum, die CO₂-Emissionen bei der Methioninherstellung zu senken. „Wir analysieren, an welchen Stellen im Produktionsprozess mit existierenden Technologien schnell und mit wenig Mitteln deutliche Einsparungen zu erzielen sind“, so Köstner.
Der Umstieg auf grünen Wasserstoff ist nur eine von vielen Maßnahmen, die gerade in Singapur umgesetzt werden. Eine weitere ist die Verbesserung der Energie- und Rohstoffeffizienz. Statt einfach eine weitere Produktionsanlage zu errichten, wird der Prozess selbst intensiviert. „Ein Teil des Prozessstroms wird künftig eine Extraschleife durchlaufen“, erklärt Köster. „So erhalten wir mehr Produkt und weniger Nebenprodukte.“ Die Folge: Der spezifische Energie- und Rohstoffbedarf für das Endprodukt sinkt.
Aus Dampf wird Strom
Große Veränderungen lassen sich allerdings nicht im laufenden Betrieb vornehmen. Deshalb werden Zeitfenster genutzt, in denen die Anlage ohnehin für Wartungsarbeiten stillsteht. Der verlängerte Stillstand der Methioninproduktion für die Erweiterung ermöglicht es, parallel weitere Umbauten vorzunehmen. So wird etwa ein großer Apparat im Herstellprozess von Methionin gegen einen neuen mit innovativem Design ausgetauscht, der weniger Nebenprodukt erzeugt und weniger Dampf zum Aufheizen verbraucht. „Der Dampf ist ein zentrales Element der Energieintegration im Methioninwerk in Singapur“, erläutert Kaemmerer. Neben Methionin werden dort alle wichtigen Vorprodukte hergestellt: Methylmercaptan, Acrolein und Blausäure. Während bei der Produktion von Acrolein und Blausäure sowie bei der thermischen Nutzung von Prozessnebenströmen Dampf entsteht, wird im Methioninprozess Dampf benötigt.
„Wir haben schon jetzt manchmal einen kleinen Dampfüberschuss“, sagt Kaemmerer. „Wenn wir künftig bei der Herstellung von Acrolein und Blausäure für die zusätzlichen Methioninmengen mehr Dampf erzeugen und der Methioninprozess selbst weniger verbraucht, vergrößert sich dieser Überschuss.“ Mit einer Extraktionsdampfturbine wird künftig aus dem nicht benötigten Dampf zusätzlicher elektrischer Strom erzeugt, sodass weniger Energie eingekauft werden muss. Die thermische Nachbehandlungsanlage am Standort wird ebenfalls umgebaut. Indem bestimmte Abgasströme anders zugeführt werden, kann die Verbrennungstemperatur gesenkt werden. Dadurch wird weniger Erdgas verbraucht, weniger CO₂ ausgestoßen und weniger überschüssiger Dampf erzeugt. Und auch die neue Elektrolyse soll neben dem grünen Wasserstoff einen zusätzlichen Nutzen bringen: Der bei der Reaktion entstehende Sauerstoff hilft Erdgas beim Betrieb der Öfen einzusparen.
Während Köstners Team schon weit in die Zukunft denkt und an völlig neuen Prozessen mit ganz neuen Rohstoffen arbeitet, richtet sich die ganze Aufmerksamkeit von Kaemmerer und seinen Kollegen darauf, alle Umbauten und Erweiterungen bis zum Frühjahr kommenden Jahres betriebsbereit zu haben. Danach soll die Methioninanlage auf Jurong Island mit erhöhter Kapazität und kleinerem spezifischem CO₂-Fußabdruck wieder anlaufen.