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Grafik Tierernährung am Beispiel Soja

Futtermittelanalyse: Wohl bekomm's

Methionin Ressourceneffizienz Bodenschutz
Fehlt den Sojabohnen etwas? Moderne Analysetechnik und der Einsatz von Big Data geben Auskunft über die Qualität von Futtermittelrohstoffen
Lesedauer 9 min
22. Juli 2024

Modernes Mischfutter muss eine Menge leisten: Es soll Tiere gesund ernähren und die Ausscheidung von Stickstoff minimieren. Zudem sollen bei der Produktion möglichst wenig Rohstoffe verbraucht werden. Mit Futtermittelanalytik und essenziellen Aminosäuren leistet Evonik einen wichtigen Beitrag für eine nachhaltige Tieraufzucht.

Es ist schon später Nachmittag, und am Euro­hafen in Haren (Ems) herrscht kaum Betrieb. Nur an der Anlegestelle der Firma Rothkötter liegen noch zwei Frachtschiffe. Mit einem weißen Plastikeimer und einer langen Metallstange in der Hand verlässt ein Misch­futtermüller das direkt angrenzende Werk und legt zügig die wenigen Meter zum Wasser zurück. Kurze Verständigung mit dem Kapitän, dann öffnet dieser die Abdeckung des Frachtraums. Die Ladung: 1.000 Tonnen Weizen. Der Müller besteigt das Schiff, stößt den langen Probennehmer nach einem vorgegebenen Muster an mehreren Stellen unterschiedlich tief in das Getreide. Danach füllt er die Stichproben in Plastikbeutel ab.

Blick auf die Firma Rothkötter, Mischfutterwerk- Im Kanal davor liegt ein Frachtschiff.

Die Rothkötter Mischfutterwerke produzieren an drei Standorten in Deutschland Hähnchen- und Schweinefutter. Getreide wie Weizen, Ölsaaten wie Soja oder Raps und Nebenprodukte aus der Nahrungsmittelproduktion gehören zu den wichtigsten Rohstoffen. Futtermittel sind ein zentraler Faktor, wenn es um Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit der landwirtschaftlichen Tierhaltung geht. Die Herkunft der Rohstoffe, ihre jeweilige Zusammensetzung und die Ergänzung mit Zusatz­stoffen haben entscheidenden Einfluss auf Tierwohl und Fleisch­qualität. Um ein unter all diesen Aspekten optimiertes Futter zusammenzustellen, müssen Hersteller die genauen Bestandteile aller Komponenten kennen. Deshalb kommt kein Betrieb ohne moderne Analytik aus. Um immer neue, vielfach heimische Rohstoffe zu erschließen, verlässt sich die Firma Rothkötter auf die Futtermittelanalytik von Evonik.

Ein Mischfuttermüller ­entnimmt auf dem Frachtschiff Proben des angelieferten ­Weizens und füllt sie in Beutel ab.

Das Labor im wenige Kilometer entfernten Rothkötter Mischfutterwerk in Meppen liegt direkt an der Werkseinfahrt. Über der Waage, auf der alle Lkw halten müssen, die Rohstoffe anliefern, schwebt ein Probennehmer. Maria vor dem Brocke kann ihn vom Gebäude aus steuern. Sie zieht Proben, nimmt sie in Augenschein und bestimmt einige einfache Parameter wie den Feuchtigkeitsgehalt. Daneben bereitet sie Rohstoffproben – unter anderem die am Eurohafen entnommenen – für eine Nahinfrarot(NIR)-Analyse vor.

Ein Gerät in der Größe eines herkömmlichen Schreibtischdruckers braucht weniger als eine Minute, um eine Probe zu untersuchen. Auf dem angeschlossenen Monitor ist das Ergebnis in Form farbiger Kurven zu sehen. Nach Abschluss der Messungen übermittelt vor dem Brocke alle Ergebnisse online an Evonik. Eine Viertelstunde später kann sie am Rechner für jede Probe den Anteil an Protein, Fett, Fasern, Zucker, Phosphor, Asche, Aminosäuren und anderen Bestandteilen ablesen.

Für Christian Emthaus ist dieses Wissen essenziell: „Wir kennen den Nährstoffbedarf von Hähnchen und Schweinen in ihren jeweiligen Entwicklungsphasen sehr genau“, sagt der Geschäftsführer und Leiter der drei Mischfutterwerke von Rothkötter. „Und darauf stimmen wir das Futter ab.“ Die Zusammenstellung der Zutaten muss er dabei immer wieder anpassen. Denn pflanzenbasierte Inhaltsstoffe variieren je nach Sorte, Herkunft, Witterung und Art der Lagerung stark, und auch die Verfügbarkeit von Rohstoffen schwankt enorm.

Ein wichtiger Parameter für das Wachstum der Tiere ist der Proteingehalt des Futters. „Hier kommt es ganz wesentlich auf die Aminosäurezusammensetzung an“, erläutert Dr. Maike Naatjes, Agraringenieurin mit Schwerpunkt Tierernährung. Sie arbeitet in der ­Business Line Animal Nutrition von Evonik und betreut Kunden in Europa, im Nahen Osten und in Afrika bei technischen Fragen. Auch mit Christian Emthaus steht sie in engem Kontakt.

Probebeutel mit Futterrohstoff.

RUNTER MIT DEM PROTEINGEHALT

Von den 21 verschiedenen Aminosäuren, aus denen Proteine bestehen, kann das Tier acht – die sogenannten essenziellen Aminosäuren – nicht selbst bilden. Sie müssen über das Futter in ausreichender Menge geliefert werden. „Sobald eine der benötigten essenziellen Aminosäuren aufgebraucht ist, kann das Tier die im Überschuss vorhandenen anderen Proteinbestandteile nicht mehr verwerten“, erklärt Naatjes. „Sie müssen abgebaut und mit dem Harn ausgeschieden werden.“ Diesen Effekt gilt es aus mehreren Gründen zu vermeiden: Proteinhaltige Rohstoffe sind teuer und beanspruchen landwirtschaftliche Fläche. Die Ausscheidungen der Tiere tragen zur Überdüngung von Böden und Gewässern bei. Und der Organismus der Tiere wird unnötig belastet:

Im Labor von Rothkötter ­analysiert Maria vor dem Brocke die Futtermittelrohstoffe mittels Nahinfrarotspektroskopie.

Um mit weniger Rohstoffen ein ausgewogenes Aminosäureverhältnis zu erreichen, fügen viele Hersteller dem Futter geringe Mengen der reinen Aminosäuren bei. Bei Hähnchen mangelt es meist an Methionin, bei ­Schweinen zuallererst an Lysin. Evonik hat die drei wichtigsten ­Aminosäuren im Sortiment.

Aber wie viel von welchem Zusatzstoff ist in der jeweiligen Mischung nötig? Vor Einführung der NIR-Analytik arbeiteten Futtermittelhersteller mit Daten aus aufwendigen nasschemischen Analysen, die Unternehmen wie Evonik an Rohstoffproben aus aller Welt vornahmen und einmal im Jahr veröffentlichten. „Wir wussten dann zum Beispiel, dass europäischer Weizen 9 bis 13 Prozent Protein enthält und die Mehrzahl der Proben bei 10 bis 11,5 Prozent liegt“, erzählt Emthaus. Um auf der sicheren Seite zu sein, hat er die Qualität des Rohstoffs immer etwas schlechter angesetzt als das bekannte Mittel und so – „über den Daumen“ - den Bedarf etwa an Methionin kalkuliert.

Heute, unterstützt durch die schnelle NIR-Technologie, ist die Formulierung von Futtermitteln tages­aktuelle Präzisionsarbeit. Große Hersteller wie Rothkötter besitzen eigene NIR-Geräte, nehmen aber die Unterstützung von Evonik für die Auswertung der Analysedaten in Anspruch. Denn die NIR-Analytik als indirekte Methode erlaubt keine Mengenbestimmung der Rohstoffbestandteile. Um die gemessenen Spektren richtig zu bewerten, sind Datensätze mit dem bekannten Gehalt beziehungsweise den bekannten Konzentrationen eines Stoffs nötig. Diese Datensätze hat Evonik über Jahrzehnte aufgebaut und ständig erweitert. „Wir haben Millionen von Proben aus aller Welt von mehr als 60 verschiedenen Roh­stoffen im Labor aufwendig analysiert“, sagt die Agraringenieurin Naatjes. Sie bilden die Basis für den Aminonir-Service des Unternehmens.

Eine Futtermittelprobe im Analysegerät

Bei bekannten Lieferanten und bei der Anlieferung per Lkw setzt Rothkötter die NIR-Analytik stich­probenartig ein. Bei Rohstofflieferungen per Schiff oder Bahn, die viel größere Mengen umfassen, wird genauer geprüft. Hier wartet Geschäftsführer Emthaus schon einmal die Analyse ab, bevor er entscheidet, in welches Silo der Rohstoff zur Lagerung kommt. Anschließend werden die Komponenten vollautomatisch in der ­mehrstöckigen Futtermühle verarbeitet und gemischt. An einem Tag entstehen so etwa am Standort Meppen mehr als 1.000 Tonnen Mischfutter.

Durch Kombination von moderner Analytik und einem wachsenden Sortiment an Additiven konnte Rothkötter im Laufe der Jahre den Proteingehalt des Futters stetig verringern. „Bevor mit Methionin die erste Aminosäure als Zusatz verfügbar war, enthielt beispielsweise Geflügelfutter rund 30 Prozent Protein“, so Emthaus. Heute sind es – bei Zusatz mehrerer Aminosäuren – nur noch 19 Prozent. „Niedrigproteindiäten“ nennt Evonik dieses Konzept, bei dem der Aminosäurebedarf der Tiere mit weniger Rohprotein gedeckt wird.

SO FUNKTIONIERT DIE ANALYSE

Grafik Monochormatische Untersuchung von Getreide für die Tierernährung
AMINONIR® ist eine eingetragene Marke der Evonik Industries AG oder einer ihrer Tochtergesellschaften.

DAS ZIEL: WENIGER STICKSTOFFEMISSIONEN

Viele Jahre lang wurde vor allem unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten optimiert, denn Futter ist der mit Abstand größte Kostenfaktor bei der Nutztierhaltung, und proteinhaltige Rohstoffe sind besonders teuer. Inzwischen kommt der Aspekt der Nachhaltigkeit immer stärker mit ins Spiel. „Es hat sich gezeigt, dass der Rohproteingehalt im Futter auch dessen ökologischen Fußabdruck mitbestimmt“, sagt Emthaus. „Damit haben wir einen wirksamen Hebel, um die Nachhaltigkeit zu verbessern.“ Da in der Rothkötter-Unternehmensgruppe nicht nur Mischfutter hergestellt wird, sondern auch die damit ernährten Hähnchen zu Fleischprodukten verarbeitet werden, kann sie so im Handel und bei umweltbewussten Endverbrauchern punkten.

Dass der Einsatz von Aminosäuren Wirkung zeigt, belegt unter anderem eine Publikation des Deutschen Verbands Tiernahrung (DVT) von 2022. Demnach hat sich der Rohproteingehalt im Hähnchenmastfutter der fünf führenden Hersteller in Deutschland zwischen 2000 und 2020 von durchschnittlich 20,8 auf 19,3 Prozent verringert. Das entspricht einer relativen Veränderung um sieben Prozent. Zugleich erreichen die Tiere heute ein ­höheres Gewicht. Bezieht man den Rohproteingehalt auf das Lebendgewicht der Hähnchen, hat sich der Protein­einsatz sogar um 18 Prozent verringert.

Futtermittel-Mischwerk Rothkötter

»Beim Tierfutter kommt es auf die Zusammensetzung der Aminosäuren an.«

Maike Naatjes Agraringenieurin in der Evonik-Business-Line Animal Nutrition

Scheiden Nutztiere weniger ungenutztes Protein und damit weniger Stickstoff aus, entsteht weniger Ammoniak – eine in mehrfacher Hinsicht problema­tische Stickstoffverbindung: Reagiert sie mit bestimmten Luftschadstoffen, kann gesundheitsgefährdender Feinstaub entstehen. Im Wasser und Boden führt Ammoniak unter Umständen zu Eutrophierung und Versauerung.

Die EU hat deshalb die erlaubten Ammoniak-Emissionen begrenzt. In Deutschland gilt ab 2030 eine Obergrenze von 431.000 Tonnen pro Jahr. Eine proteinreduzierte Fütterung trägt dazu bei, dieses Ziel zu erreichen. So sank die errechnete Stickstoffemission pro Kilogramm Hähnchen in Deutschland laut DVT zwischen 2000 und 2020 um mehr als ein Drittel: von 31 Gramm auf 20 Gramm.

Auch die Tiere profitieren von der angepassten Fütterung, wie Emthaus erläutert: „Sie scheiden weniger ungenutzte Proteine aus. Weil Stickstoffemission und Wasserkonsum zusammenhängen, bedeutet das, dass der Hähnchenmist weniger Wasser enthält. Die Tiere stehen in den Ställen trockener, was das Risiko bakterieller Infektionen verringert.“

PROTEIN AUS HEIMISCHEN QUELLEN

Wenn es darum geht, die Tierfütterung nachhaltiger zu gestalten, setzt Rothkötter auch auf heimische Rohstoffe, deren Qualität ebenfalls genau analysiert wird. Besonders attraktiv sind Nebenprodukte aus der heimischen Lebensmittelherstellung. Dazu gehören Schalenrückstände, die beim Mahlen von Getreide wie etwa Weizen anfallen. „Wir nutzen Produkte, die der Mensch nicht oder kaum verwerten kann, für die Tierfütterung und gewinnen mit dem Fleisch hochwertiges Protein für die menschliche Ernährung“, sagt Emthaus.

Bei der Ölgewinnung aus Raps oder Sonnenblumen fallen ebenfalls Nebenprodukte an, die Tieren als Futter dienen können. Über Rohstoffbörsen verfolgt das Team Einkauf/Rezepturgestaltung von Rothkötter genau, welche Komponenten wann verfügbar sind. Auch über direkte Kontakte zu Lebensmittelproduzenten erhält es Angebote. Verändert sich die Rohstoffbasis des Futters, muss die Gesamtmischung neu formuliert werden. Das ist bei Rothkötter meist einmal wöchentlich der Fall.

 

Eine Frau sietzt an einem Computerarbeitsplatz und betrachtet ein Chart auf dem Monitor.

Das Futter für Masthähnchen und Schweine besteht aus 5 bis 15 Hauptkomponenten und etlichen kleineren Zutaten. Damit die Tiere kein Problem mit der Futterumstellung bekommen, sollen Änderungen möglichst gering ausfallen. Beim Anpassen einer Futtermischung hilft heutzutage Software. Damit lässt sich das Futter unter den Aspekten Qualität, Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit optimieren.

Ein unverzichtbarer Rohstoff ist Sojaschrot, denn es weist von allen pflanzlichen Komponenten die für die Tierfütterung günstigste Aminosäurezusammensetzung auf. Genau wie Rapsschrot ist es ein Nebenprodukt der Ölgewinnung. Die Rothkötter Mischfutterwerke ­beziehen es aus Südamerika und aus Europa.

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Um Soja für die tierische und menschliche Ernährung einsetzbar zu machen, wird es von Ölsaatenverarbeitern zunächst erhitzt. Das ist erforderlich, um bestimmte Stoffe in der Hülsenfrucht zu deaktivieren. Zu große Wärme zerstört jedoch hitzeempfindliche Aminosäuren im Soja. Das sogenannte Toasten ist ein Balanceakt, der nicht immer perfekt gelingt, aber ganz wesentlich die Verdaulichkeit des Sojaschrots und damit seine Qualität als Futtermittel beeinflusst.

Die Wissenschaftler von Evonik haben ein patent­geschütztes Verfahren entwickelt, mit dem sich per NIR-Analytik bestimmen lässt, wie gut Sojaschrot zu verdauen ist. Das ermöglicht es Rothkötter, den Rohstoff mithilfe zugesetzter Aminosäuren besser verwertbar zu machen.

Das Schrot wird wie alle anderen Zutaten so umweltverträglich wie möglich geliefert – zum Beispiel per Überseefrachter bis Rotterdam und dann per Binnenschiff, Bahn oder Lkw bis zum Werk. Wenn es um den ökologischen Fußabdruck eines pflanzlichen Rohstoffs geht, spielt außerdem die Flächeneffizienz des Ackers eine entscheidende Rolle. Sie hängt von Faktoren wie der Bodenbeschaffenheit, den Witterungsbedingungen und der Größe ab. So kommt es vor, dass zertifiziertes Sojaschrot aus Südamerika, wo zwei Ernten pro Saison möglich sind, in der Gesamtbilanz genauso gut abschneidet wie europäisches.

Eine Hand hält eine Futtermittelprobe.

Ökobilanzen sind neben der Analytik ein wichtiger Treiber der Futtermitteloptimierung. Wie eine vom TÜV Rheinland zertifizierte Ökobilanz von Evonik 2021 zeigt, ließe sich in Europa allein durch Versorgung von Masthähnchen, Legehennen und Schweinen mit Niedrig­proteinfutter und den Zusatz freier Aminosäuren der Treibhauseffekt der Nutztierhaltung um 9 bis 14 Prozent reduzieren, die Überdüngung um 9 bis 12 Prozent. Zusätzlich könnten bis zu 13 Prozent Ackerfläche eingespart werden. Rothkötter und Evonik zeigen, wie es geht.

Christian Emthaus von Rothkötter und Evonik-Expertin Maike Naatjes in der Futtermühle.
Christian Emthaus von Rothkötter und Evonik-Expertin Maike Naatjes in der Futtermühle.