Brustkrebs ist eine der häufigsten Krebserkrankungen bei Frauen – jede achte ist in den Industrieländern im Laufe ihres Lebens betroffen. Für viele Patientinnen bedeutet die Behandlung eine Mastektomie, also die operative Entfernung der Brust. Die Frauen, die die Brust anschließend wieder aufbauen lassen wollen, entscheiden sich in den meisten Fällen für ein Implantat aus Silikon. Stattdessen könnte künftig das bioresorbierbare Polymer, das Evonik unter dem Markennamen Resomer vertreibt, eine neue Form der Brustrekonstruktion ermöglichen. Und das ganz individuell und besonders körperverträglich.
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Evonik hat in diesem Anwendungsfeld bereits Kunden. Das französische Medizintechnikunternehmen Lattice Medical sowie das deutsche Unternehmen BellaSeno nutzen den 3D-Druck um patientenspezifische Implantate herzustellen, die das natürliche Zellwachstum des Körpers unterstützen.
Das von Lattice Medical entwickelte Mattisse-Implantat ist eine 3D-gedruckte, bioresorbierbare sogenannte Tissue Engineering Chamber. In sie wird Körperfett eingebracht, das den Patientinnen zuvor aus anderen Körperregionen entnommen wurde. Die Kammer schützt und formt die Brust und löst sich innerhalb von 18 Monaten kontinuierlich auf.
BellaSeno arbeitet mit einem 3D-Gerüst, das mit dem eigenen Körperfett der Patientinnen benetzt wird. Es fördert durch sein offenporiges, gitterartiges Netz die Gewebebildung und verleiht gleichzeitig Stabilität. Nach und nach wird es vom Körper abgebaut und von eigenem Gewebe ersetzt.
Heilung mit Hilfe lebender Zellen
Beide Verfahren machen sich zunutze, dass in dem entnommenen Fettgewebe lebende Zellen enthalten sind – unter anderem auch Stammzellen, die Gewebe erneuern können. Auch mit ihrer Hilfe bilden sich mit der Zeit neue Blutgefäße, die in das Gewebe wachsen. So kann es überleben und sich weiterentwickeln, bis daraus eine strukturgebende, lebendige neue Form entsteht.
Zugleich können mit den Strukturen aus biologisch resorbierbarem Material die gängigen Probleme von Silikonimplantaten umgangen werden: Die Gefahren einer Kapselfibrose, von Implantatversagen oder Fremdkörperreaktionen und wiederholten Operationen mit langen Genesungszeiten.
Abbau im Körper
Evonik hat dafür eine Variante von Resomer entwickelt, die genau auf diese medizinischen 3D-Druck-Anwendungen abgestimmt ist. Das betrifft die Kristallinität, die Verarbeitungstemperatur und den Schmelzpunkt, der mit bis zu 200 Grad Celsius für den 3D-Druck optimiert ist. Das Resomer kann so formuliert werden, dass es in ungefähr der gleichen Geschwindigkeit abgebaut wird, in der sich körpereigenes Gewebe bildet. Nach zwölf bis 48 Monaten ist es restlos verschwunden. Seine mechanischen Eigenschaften stellen sicher, dass das Gerüst stabil genug ist, um die Form zu halten und gleichzeitig flexibel genug, um sich dem Körper anzupassen.
Erste klinische Ergebnisse sind ermutigend. So zeigten sich bei Patientinnen, die mit dem Implantat von BellaSeno behandelt wurden, ein Jahr nach dem Einsetzen der neuartigen Strukturen, ein Volumenerhalt der Brust von 87 Prozent, niedrige Komplikationsraten und eine natürliche Weichheit. Die Lebensqualität war hoch, körperliches und psychisches Wohlbefinden verbesserten sich. Nach zwei Jahren hatte sich ein Gefäßnetzwerk im neu gebildeten Brustgewebe gebildet. Auch Lattice Medical überprüft aktuell in klinischen Studien in Frankreich und Spanien sein Verfahren auf Wirksamkeit und Sicherheit.
Materialwissenschaft als Schlüssel zur Individualisierung
Das Polymer Resomer kommt bereits in vielen anderen medizinischen Eingriffen zur Anwendung, zum Beispiel in Interferenzschrauben für die Orthopädie, oder in Stents und Kathetern für kardiovaskuläre Einsätze. Die Patienten profitieren davon, dass sich das Hilfsmittel in ihrem Körper innerhalb einer Zeitspanne von weniger als einem Monat bis zu vier Jahren restlos abbaut, und sie auf weitere operative Eingriffe verzichten können.