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Nachhaltigkeit auf Knopfdruck

Lesedauer 2 min
22. September 2025

Evonik hat einen Weg gefunden, Ökobilanzen automatisiert zu erstellen. Der neue digitale Prozess liefert belastbare Daten zu CO₂-Emissionen, Wasserverbrauch und weiteren Umweltfaktoren – schneller, konsistenter und skalierbar. Ein Blick hinter die Kulissen eines komplexen, aber entscheidenden Schritts in Richtung nachhaltiger Industrie.

Bernd Kaltwaßer
Von Bernd Kaltwaßer

Promovierter Biologe und Redakteur der ELEMENTS

Für viele Menschen beginnt der Morgen mit einer Tasse frisch gebrühtem Kaffee. Rund 100 Gramm CO₂ stecken in ihr – verursacht durch Anbau, Verarbeitung und Zubereitung. Jede Chat-GPT-Anfrage auf dem Smartphone, schlägt mit fünf Gramm CO2 zu Buche. Und das Baumwoll-T-Shirt, das man überstreift, hat bereits 2.700 Liter Wasser verbraucht, bevor es überhaupt im Laden lag.  

Immer mehr Menschen interessieren sich für solche Zahlen. Sie wollen wissen, wie groß ihr ökologischer Fußabdruck ist – beim Einkaufen ebenso wie beim Surfen im Netz. Nachhaltigkeit soll messbar werden. Doch wie entstehen diese Werte eigentlich?

Person sitzt an einem Holztisch in einem Café und betrachtet ein Smartphone. Auf dem Tisch liegen eine weiße Kaffeetasse, schwarze Sonnenbrille und Autoschlüssel. Im Hintergrund sind weitere Gäste des Cafés zu sehen.

Die Antwort: Sie werden berechnet. Mit sogenannten Ökobilanzen – wissenschaftlich fundierten Lebenszyklusanalysen, die die Umweltauswirkungen eines Produkts oder einer Dienstleistung von der Rohstoffgewinnung über die Produktion bis zur Entsorgung erfassen.

Was für einzelne Artikel schon komplex ist, wird für ein Chemieunternehmen wie Evonik zur echten Herausforderung. Denn hier entstehen tausende Produkte – oft nach variantenreichen Rezepturen, in technisch komplexen Anlagen, an unterschiedlichen Standorten, mit wechselnden Energiebedarfen. 

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Automatisierung trifft Präzision

Für das Essener Chemieunternehmen stellt Florian Böss mit seinem Team die entsprechenden Berechnungen an. „Wir benötigen dafür die Masse- und Energiebilanz jedes einzelnen Produktionsschritts und ergänzen viele weitere Informationen rund um den Rohstoff, die Produktionsprozesse, Betriebe, Standorte und weiteres mehr“, sagt der Leiter des Life Cycle Managements bei Evonik. Mit großer Akkuratesse werden die Zahlen zusammengetragen, miteinander verrechnet, gegengecheckt und am Ende in einer Ökobilanz zusammengeführt. Hört sich aufwendig an und ist es auch. 

Portrait Florian Böss

»Immer mehr unserer Kunden fragen für immer mehr Produkte nach immer konkreteren Umweltkennzahlen.«

Florian Böss Leiter des Life Cycle Managements bei Evonik

Einige hundert Ökobilanzen erstellt oder aktualisiert das gut 25 -köpfige Team so jedes Jahr. Ein Prozess, der teils mehrere Wochen dauert und hohe Fachexpertise benötigt. „Immer mehr unserer Kunden fragen für immer mehr Produkte nach immer konkreteren Umweltkennzahlen“, berichtet Böss.

Die Nachfrage steigt jedoch nicht nur durch Kunden, die ihre eigenen Nachhaltigkeitsziele verfolgen, und dafür auf Informationen zu den Nachhaltigkeitseigenschaften ihrer Rohstoffe und Vorprodukte angewiesen sind. Auch regulatorische Anforderungen werden immer strenger, etwa durch die EU-Richtlinien zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (Corporate Sustainability Reporting Directive, CSRD) oder zu Sorgfaltspflichten entlang der Lieferkette (Corporate Sustainability Due Diligence Directive, CSDDD). Von 2027 an fordert die Ökodesign-Verordnung (Ecodesign for Sustainable Products Regulation, ESPR) für erste Produktgruppen einen digitalen Produktpass, der unter anderem standardisierte Angaben zum CO2-Fußabdruck enthält.

„Für uns war abzusehen, dass sich die schiere Menge der Anfragen irgendwann nicht mehr mit einem rein manuellen Prozess beantworten ließe“, sagt Böss. „Daher haben wir einen automatisierten Prozess entwickelt, der nicht nur präzise, sondern auch skalierbar ist.“

Ein digitaler Quantensprung

Marktverfügbare Systeme konnten die hohen Anforderungen jedoch lange nicht erfüllen. Manche berechneten nur einzelne ökobilanzielle Kennziffern, andere ließen sich nicht mit den vielen verschiedenen Datenquellen verbinden. 

Genau das gelingt nun mit einer Softwarelösung, die IT-Spezialisten von Evonik geschaffen haben und die Ökobilanzen automatisiert erstellt – schnell, konsistent und belastbar. Sie basiert auf einer Technologie des Partners Sphera und ist direkt in die System-Landschaft von Evonik integriert. In seinem Büro im Industriepark Hanau stellt Böss das neue System vor: Wenige Klicks auf dem Laptop reichen und schon sammelt es die benötigten Daten aus zentralen Unternehmenssystemen oder externen Datenbanken und wertet sie aus.

„Wir liefern belastbare Antworten – schnell, transparent und zukunftsgerichtet“, sagt Ingenieur Böss. Die automatisierte Berechnung ist bis zu zehnmal schneller als das bisherige manuelle Verfahren. Statt Wochen dauert die Bereitstellung einer Ökobilanz nur noch wenige Tage.  

Im Juli 2025 bestätigte der TÜV Rheinland die Funktionsfähigkeit und Korrektheit des automatisierten Prozesses. Die Zertifizierung basiert auf einem etablierten, manuellen Verfahren, das nun digitalisiert wurde – ein starkes Signal für Vertrauen und Transparenz.

Portrait Florian Böss im Treppenhaus des Hanauer Evonik-Verwaltungsgebäudes.

Dabei kann die Software weit mehr als nur den Carbon Footprint berechnen. Auch Wasserverbrauch, Nährstoffeinträge in Gewässer, Daten zur Feinstaubbelastung und vieles mehr werden ermittelt. Rücken künftig weitere Dimensionen in den Fokus, können die entsprechenden Datenquellen einfach in das System integriert und ohne zusätzlichen Aufwand ausgewertet werden.

„Die chemische Industrie sitzt im Herzen zahlreicher Wertschöpfungsketten“, erklärt Naved Siddique, Chief Product Officer bei Sphera. „Automatisierte LCAs ermöglichen es Unternehmen, Umweltinformationen direkt in strategische Entscheidungen zu integrieren – das ist ein echter Wettbewerbsvorteil.“

Dank genauerer Zahlen lässt sich beispielsweise herausfinden, welche Auswirkungen ein Energie- oder Rohstoffwechsel hätte oder wie sich sonst CO2-Emissionen senken lassen. Auch die Wettbewerbsfähigkeit kann dadurch gesteigert werden. „Wenn wir die Massebilanzen der Produktionsprozesse durchleuchten, decken wir zum einen bis dahin unbekannte Verluste auf und zum anderen lässt sich daran erkennen, wo wir nachhaltiger werden können“, erklärt Böss. Daraus lassen sich Zieldefinitionen ableiten, Strategien entwickeln und Maßnahmen wie der Einsatz von alternativen Rohstoffen und Energiequellen bewerten und zielgerichtet umsetzen. Ein wichtiger Schritt, um die Nachhaltigkeitsziele von Evonik zu erreichen. Bis 2030 sollen die Emissionen, die in direktem Zusammenhang mit der Produktion stehen (Scope 1) oder durch zugekaufte Energie verursacht werden (Scope 2) um 25% im Vergleich zum Basisjahr 2021 sinken.  

Frauenhände halten eine Kugel mit grünen Blättern.

Bei Evonik sind es eine Reihe von Business Lines, die die Entwicklung vorantreiben. Ute Schick, Leiterin der Business Line Care Solutions, bringt es auf den Punkt: „Unsere Kunden fordern hochwertige Ökobilanzen. Durch die automatisierte Berechnung, die auf validen und vollständigen Daten basiert, bauen wir unsere Position als Vorreiter für nachhaltige Lösungen in der Care-Industrie weiter aus.“

Auch bei High Performance Polymers ist die Nachfrage groß. Für den Hightech-Kunststoff Polyamid 12, der unter dem Markennamen TROGAMID eCO etwa in kratzfesten Brillen zum Einsatz kommt, wurden die Ökobilanzen bisher manuell erstellt.

„Nachhaltige Lösungen sind gerade in verbrauchernahen Anwendungen gefragt“, berichtet Florian Hermes, in der Business Line zuständig für Nachhaltigkeit. „Die Kombination aus Automatisierung und externer Validierung stärkt das Vertrauen unserer Kunden in den Prozess.“

Kunststoffgranulat

Ein Maßstab für die Branche

Inzwischen liegen für mehr als 1.000 Produkte automatisierte LCAs vor – bis 2027 soll das Verfahren konzernweit etabliert sein. Evonik setzt damit einen technologischen Maßstab, der über das eigene Unternehmen hinaus Strahlkraft entfalten kann. Die automatisierten LCAs sind ein Werkzeug für Fortschritt – und ein Beleg dafür, wie Digitalisierung und Nachhaltigkeit Hand in Hand gehen können.