Die Zukunft der Chemie ist grün. Außerdem 7,5 Meter hoch, 6 Meter breit und tonnenschwer. Zu bestaunen ist sie im Chemiepark Marl.
„Etwas in Stahl und Eisen gießen, das ist das ultimative Ziel eines Industrieforschers“, sagt Robert Franke, der Leiter der Oxo-Forschung von Evonik. Seinem Team ist im Projekt MACBETH genau das gelungen. An einem sonnigen Mittwochmorgen im Sommer 2023 konnte es im Chemiepark Marl zuschauen, wie ein Autokran drei seecontainer-große, grün lackierte Stahlgerüste in die Oxo-Anlage hob. Darin verbaut: die von ihnen entwickelte Demonstrationsanlage.
Auch wenn der Kran die tonnenschweren Lasten mühelos bewegt, ist Millimeterarbeit gefragt. Mit Zugseilen positioniert ein Montagearbeiter die drei Ungetüme, anschließend verankern zwei seiner Kollegen die Module mit daumendicken Schrauben auf einem Trägerrahmen aus Stahl. Danach werden die Leitungsanschlüsse zwischen den Modulen wiederhergestellt, ebenso die zusätzlichen Verbindungen zur großen Produktionsanlage.
Für den Katalyse-Spezialisten Franke ist es ein erhebender Anblick – und der Höhepunkt von mehr als einem Jahrzehnt harter Forschungsarbeit. Deren großes Ziel ist einfach erklärt: Ein neuer Reaktortyp soll wichtige chemische Reaktionen noch energieeffizienter machen.
MACBETH – Das größte von Evonik koordinierte EU-Forschungsprojekt
Der Weg dorthin ist schwierig, von einem „hochriskanten Projekt“ spricht der Forscher – und meint damit nicht etwa die Gefährlichkeit der genutzten Chemikalien, sondern die vielen wissenschaftlichen und technischen Hürden, die das Projekt bis zum erfolgreichen Abschluss überwinden muss. Aus ganz Europa haben sich 27 Kooperationspartner zusammengetan, um gemeinsam an dem neuen Reaktortyp zu arbeiten. Die Europäische Kommission fördert das Projekt MACBETH (Membranes And Catalysts Beyond Economic and Technological Hurdles) als Teil ihres Rahmenprogramms Horizont 2020 noch bis Oktober 2024 mit insgesamt 20,7 Millionen Euro. Das macht es zu dem größten Forschungsprojekt, das Evonik bisher koordiniert hat.
Das Shakespeare-Drama Macbeth endet tragisch – die namensgebende Hauptfigur ist am Ende des Stücks tot, ebenso viele ihrer früheren Vertrauten. Für seinen Namensvetter bei Evonik arbeiten Franke und Team hingegen an einem Happy End. Den Schlüssel dazu birgt ein völlig neues Reaktordesign. Im Labormaßstab haben die sogenannten Katalytischen-Membran-Reaktoren bereits gezeigt, dass sie grundsätzlich funktionieren. Mit MACBETH sollen nun letzte technische Hindernisse auf dem Weg zu größeren Maßstäben überwunden und die Wirtschaftlichkeit des Ansatzes in der Industriepraxis bewiesen werden.
Die Demonstrations-Anlage umfasst drei Module: „Die Katalysatoransatzstation ist im ersten Modul installiert. Sie besteht aus einer Feststoff-Aufgabe und dem Coating-Behälter“, sagt Thomas Diehl, Technischer Chemiker von Process Technology & Engineering und im MACBETH-Projekt für die Verfahrenstechnik verantwortlich. „In das zweite Modul haben wir den für MACBETH entwickelten Membranreaktor und eine Hochsiederfalle zum Abtrennen wenig flüchtiger Stoffe eingebaut.“ Im dritten Modul sind ein Festbettreaktor und ein Wärmetauscher installiert.
Weniger CO2-Ausstoß
Das Herzstück des MACBETH-Reaktors bilden eine Reihe von Monolithen: Gut 50 der grauen, mehr als einen Meter langen und besenstieldicken Stäbe aus Siliciumcarbid sind darin verbaut. Ihre Poren werden mit einem flüssigen Film ausgekleidet, die den eigentlichen Katalysator enthält. Auf diese Weise immobilisiert, ist er deutlich stabiler als in den bisher herkömmlichen homogenen Verfahren. Eine integrierte Membran trennt das entstehende Produkt direkt von anderen Komponenten ab. Das macht den sonst notwendigen, energieaufwendigen Extra-Trennschritt überflüssig. „Aus unseren Untersuchungen im Technikum schließen wir, dass wir bis zu 70% der Energie einsparen können. Das würde bedeuten, dass die CO2-Emissionen um 35% sinken“, sagt Franke – und, ganz der vorsichtige Wissenschaftler - fügt hinzu: „Ob dem wirklich so ist, werden wir sehen, wenn wir den Demoreaktor unter Produktionsbedingungen betreiben.“
Durch ihren modularen Aufbau und den wegfallenden Trennschritt wird die Anlage deutlich günstiger. Sowohl Investitions- als auch Betriebskosten könnten im Vergleich zu einer konventionellen Anlage spürbar sinken. „Bei Erfolg ist das eine Revolution für die chemische Industrie,“ sagt Franke.
MODULBAUWEISE VEREINFACHT INTEGRATION
Für Evonik ist es das erste Mal, dass eine modulare Demonstrationsanlage für ein völlig neues Verfahren direkt an einen Nebenstrom der Produktionsanlage angeschlossen wird. „Bisher wäre eine solche Integration im laufenden Betrieb für die Verantwortlichen eine große Herausforderung gewesen“, berichtet Maren Wagner, die das Engineering für das MACBETH-Projekt verantwortet. „Jeder Sensor und Aktor hätte einzeln verdrahtet und verbunden werden müssen.“ Dank Modulbauweise konnte der Technische Service von Evonik die Anlagenteile andernorts vormontieren und testen. „Erst danach hat der Technische Service die Module zur eigentlichen Einsatzstelle gebracht und sie per ‚Plug and Produce‘ an das bestehende Prozessleitsystem angeschlossen“, so Wagner. Bei diesem Verfahren werden die einzelnen Bauteile durch standardisierte Datenschnittstellen zu Gruppen zusammengeschaltet, die dann unkompliziert in das Leitsystem integriert werden können. Das minimiert Stillstandzeiten. Ein weiterer Pluspunkt: Nach der Demonstrationsphase können die Module wieder ausgebaut und an anderer Stelle weiterverwendet werden.
Ob die von MACBETH-Initiator Franke beschworene Revolution der Chemieindustrie kommt, entscheidet sich in den kommenden Monaten in Marl. Dort durchläuft die Demonstrationsanlage den ultimativen Praxistest. Dafür wird sie mit denselben Stoffströmen wie die Oxo-Anlage versorgt.
„Grundlegend neue Prozesse wie im Macbeth-Projekt ermöglichen uns Sprünge in der Nachhaltigkeit und Effizienz, die wir allein durch die kontinuierliche Verbesserung unsere bestehenden Anlagen nicht erreichen können“, sagt Benedikt Dercks, der Betriebsassistent der Oxo-Anlage. „Gerne bringen wir deswegen unsere Erfahrung aus dem Produktionsalltag in Forschungsprojekte wie dieses ein.“
Installation der Demonstrationsanlage
Bilder der Installation der MACBETH-Anlage zeigt das Video.
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TESTFALL HYDROFORMYLIERUNG
Getestet wird in Marl am Beispiel der Hydroformylierung, auch bekannt als Oxo-Synthese. „Dabei setzen wir ungesättigte Kohlenwasserstoffe, die Olefine, mit einem Gemisch aus Wasserstoff und Kohlenmonoxid, dem Synthesegas, zu Aldehyden um“, erläutert Franke. Die Reaktion ist einer der heimlichen Stars der chemischen Industrie: Außerhalb der Branche kaum bekannt, aber mit den Produkten, die sie ermöglicht, kommen Menschen täglich in Berührung. Jedes Jahr werden weltweit etwa zwölf Millionen Tonnen Aldehyde hergestellt. Sie dienen als Zwischenprodukt auf dem Weg zu höheren Alkoholen, organischen Säuren und Estern, die in zahlreichen Anwendungsgebieten, von der Pharma- bis zur Kunststoffindustrie, gebraucht werden.
Eine Besonderheit von MACBETH: Der ungesättigte Kohlenwasserstoff, der hier genutzt wird, das Buten, stammt aus einem komplexen Gasgemisch, dem C4-Schnitt. Zusammen mit dem Synthesegas wird es durch den immobilisierten Katalysator an den Monolithen zu n-Pentanal umgesetzt. „Auf diese Weise entsteht aus einem Molekül mit vier Kohlenstoff-Atomen eines, das fünf solche Atome besitzt“, sagt der Verfahrenstechniker Diehl. „Pentanal ist dann vielseitig einsetzbar.“ Bei Evonik in Marl wird es zum Beispiel zu 2-Propylheptanol umgesetzt, dass dann als Weichmacher in Kunststoffen Verwendung findet.
In den kommenden anderthalb Jahren werden die Produktionsergebnisse und Prozessparameter penibel protokolliert, um zu sehen, ob die Demonstrationsanlage robust genug ist, um im rauen Produktionsalltag zu bestehen. Danach wird klar sein, ob MACBETH, anders als seinem literarischen Namensvetter ein glücklicher Ausgang beschieden sein wird.