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Ungleiches Paar

Lesedauer 2 min
29. März 2024

Obwohl sie genetisch identisch sind, entwickeln sich eineiige Zwillinge unterschiedlich. Warum das so ist, erforscht die Epigenetik – und liefert damit Ansätze, durchs Erbgut bedingte Erkrankungen zu heilen.

Björn Theis
Von Björn Theis

Leiter Foresight von Evoniks Innovationseinheit Creavis

Eineiige Zwillinge haben die Menschen seit jeher fasziniert. In vielen Kulturen galten sie lange Zeit als nicht ganz menschliche Wesen, die entweder Segen oder Unglück ankündigen. Dank der Naturwissenschaften wissen wir, dass an ihnen nichts Magisches ist – und dennoch stellten sie die Genetik lange vor ein Rätsel: Wenn die Regeln der Vererbung gelten, wie kann es dann sein, dass ein eineiiger Zwilling eine Erbkrankheit wie Diabetes entwickelt, während der andere ungehindert Muffins isst, obwohl beide identische Erbinformationen haben?

Erste Antworten lieferten Hungerkatastrophen. Epidemiologische Studien zeigten vor einigen Jahren, dass Enkel von Männern, die in ihrer Kindheit Hunger litten, seltener an Diabetes oder Herzkrankheiten erkrankten als Enkel von Männern, die nie hungerten. Die Ergebnisse deuteten darauf hin, dass erlebte Umwelteinflüsse einen Einfluss auf die Erbinformationen haben könnten.

LARVE ODER KÖNIGIN

Welche enormen Auswirkungen Umwelteinflüsse auf die Entwicklung nehmen, zeigt auch das Beispiel der Honigbienen. Alle Larven haben das genetische Potenzial, zur Königin heranzuwachsen, aber nur die Larve, die Gelée royale als Nahrung erhält, entwickelt sich zur Regentin. Es muss also einen Mechanismus geben, der je nach Nahrung Gene an- oder abschaltet. Der Zweig der Biologie, der sich auf die Suche nach diesen Mechanismen macht, wird Epigenetik genannt – das griechische Präfix „epi“ bedeutet „hinzu“ oder „über“. Damit fasst der Begriff die Forschung zu vererbbaren Veränderungen der Genaktivität ohne Veränderung der Basensequenz des Erbguts zusammen. 

Im Fokus der jungen Disziplin stehen derzeit vor allem zwei epigenetische Mechanismen. Zum einen die Methylierung: Hierbei überdeckt eine sogenannte Methylgruppe, bestehend aus einem Kohlenstoff- und drei Wasserstoffatomen, Stellen auf einem DNA-Strang. Die Folge: Die Gene können nicht abgelesen werden. Der zweite Schalter ist die Histonacetylierung. Ein menschlicher DNA-Strang ist vollständig entfaltet etwa zwei Meter lang. Damit er in unsere Zellen passt, ist er im sogenannten Histonkomplex verpackt. Sollen Informationen ausgelesen werden, wird nicht der Strang ganz entfaltet, sondern die Histonverpackungen werden an der benötigten Stelle geöffnet. Beide Mechanismen sind reversibel.

Bei eineiigen Zwillingen hat sich gezeigt, dass sich solche epigenetischen Markierungen in der Jugend kaum unterscheiden. Mit zunehmendem Alter werden die Geschwister sich aber epigenetisch immer unähnlicher. Das Leben hinterlässt also molekular-biologische Spuren in unseren Zellkernen und beeinflusst, welche Gene an- und welche abgeschaltet werden. Möchte man die Entwicklung eines Organismus verstehen, muss man daher nicht nur das Genom, sondern auch das Epigenom, also die Gesamtheit aller epigenetischen Strukturen, betrachten.

DAS ENDE VON ALZHEIMER?

In den Epigenomen von Mensch und Tier verbirgt sich wertvolles Wissen. Es wird davon ausgegangen, dass man künftig dank epigenetischer Anwendungen zahlreiche Erkrankungen frühzeitig erkennen, Heilungsprozesse beschleunigen und genetisch bedingte Krankheiten einfach abschalten kann. Daher könnte die Epigenetik für die Medizin ein Gamechanger sein.

Gut, dass die Creavis mit Forscherteams in Deutschland und Singapur bereits in der Epigenetik tätig ist. Das Ziel der Teams ist es, relevante epigenetische Informationen schnell und günstig auslesbar zu machen. Auch das Foresight-Team wird die Zukunft der Epigenetik ausloten. Denn wer weiß, vielleicht verbirgt sich ja gerade hier der richtige Schalter, um Alzheimer oder Diabetes endlich ihren Schrecken zu nehmen.