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Muskel statt Motor

Lesedauer 3 min
11. August 2025

Roboter mit Hautoberfläche? Gamepads aus Zellulose? Biohybride Materialien – entstanden aus der Verschmelzung von biologischen und nicht biologischen Komponenten – könnten dies in Zukunft möglich machen und das Zeitalter einer völlig neuen Materialklasse einläuten.

Björn Theis
Von Björn Theis

Leiter Foresight von Evoniks Innovationseinheit Creavis

Was das Team des Biohybrid ­Systems Laboratory um Professor Shoji Takeuchi von der Universität Tokio im Juni vorigen Jahres präsentierte, war faszinierend, erinnerte aber auch ein wenig an die Experimente von Dr. Frankenstein. Die Forscher hatten bei einem Roboter ein Stück lebende Haut aufgebracht und konnten es per Knopfdruck bewegen. Es war ihnen gelungen, lebendes Gewebe so an eine künstliche Oberfläche zu binden, dass es nicht zerstört wird. Hierzu nutzten sie Kollagen, ein faseriges Protein in der menschlichen Haut, und menschliche Hautfibroblasten, den häufigsten Zelltyp im menschlichen Bindegewebe. Das Ergebnis ist ein neuer Verbundwerkstoff aus biologischen und nicht biologischen Bestandteilen: ein sogenannter Biohybrid.

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Biologie trifft auf Robotik

Diese Fusion macht Materialien mit völlig neuen Funktionen möglich. So ist es auch nicht Takeuchis Hauptziel, Robotern menschliche Züge zu verleihen ‒ vielmehr sucht er einen Weg, die Vorteile der Biologie für die Robotik nutzbar zu machen. In einem nächsten Experiment verwendete der Wissenschaftler daher den Verbundstoff, um gezüchtetes Muskelgewebe mit Kunststoffelementen zu verbinden und so Aktuatoren zu kreieren, die mehrere Gewebetypen gleichzeitig stimulieren oder beeinflussen. Diese Mehrfach­gewebe-Aktuatoren baute er dann in eine Roboterhand ein, um aufzuzeigen, dass Roboter in Zukunft echte Muskeln statt sperriger und schwerer Elektromotoren für ihre Bewegung nutzen könnten. Für die Robotik wäre dies eine Revolution.

Effektivere Materiallösungen

Aber nicht nur künstliche Roboter­muskeln werden durch den biohybriden Ansatz möglich. Denkbar ist eine Vielzahl neuer smarter Materialien, die auf äußere Reize reagieren, beispielsweise Licht, Temperatur oder chemische Signale.

Auch die Recyclingfähigkeit lässt sich mithilfe biohybrider Materialien womöglich verbessern. An der Universität des Saarlands etwa entstand der Prototyp eines Gamepads, dessen Gehäuse statt aus Kunststoff aus bakterieller Zellulose besteht. Hierzu ließen die Forscher die Zellulose um die Elektronikbauteile wie Knöpfe und Mikroschalter herumwachsen. Im Rahmen des Leitprojekts „Nachhaltige biobasierte und biohybride Materialien“ der Fraunhofer-Gesellschaft wird ebenfalls an neuen biohybriden Komponenten geforscht.

Auch wenn noch einige Zeit vergehen wird, bis Roboter im Fitnessstudio ihre biologischen Muskeln trainieren ‒ biohybride Werkstoffe werden ein neues Kapitel in der Material­wissenschaft aufschlagen. Sie haben das Potenzial, in Zukunft funktionalere, nachhaltigere und effektivere Lösungen in zahlreichen Anwendungen und Bereichen wie der Automatisierung, der Medizin, der Robotik oder den Umweltwissenschaften zu schaffen.

Evonik hat das Potenzial erkannt und mit einer biosynthetischen Zellulose bereits einen ersten Biohybrid im Portfolio. Ein guter Grund für Foresight, das Thema im Zuge des Projekts „GameChanger 2035“ vertieft zu analysieren und Zukunftspotenziale für ­Evonik zu identifizieren. 

Ein Roboter mit menschlichem Gesicht.