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Nachhaltige Chemie durch Power-to-X

Prof. Dr. Walter Leitner ist Inhaber des Lehrstuhls für Technische Chemie und Petrolchemie an der RWTH Aachen und Direktor für Molekulare Katalyse am Max-Planck- Institut für Chemische Energiekonversion
Lesedauer 5 min
25. April 2018

Professor Walter Leitner ist Sprecher des Power-to-X-Konsortiums der Kopernikus-Initiative. Das Projekt befasst sich mit Speicherung und Nutzung von elektrischer Energie aus erneuerbaren Energiequellen durch Umwandlung in stoffliche Energieträger und chemische Produkte.

Jörg Wagner
Von Jörg Wagner

Leiter Externe Kommunikation Evonik

Herr Leitner, Forschung zur CO2-Nutzung gibt es schon lange. Viele Projekte der Vergangenheit krankten daran, dass nur kleine Mengen an Stoffen erzeugt werden konnten. Gilt das auch für das Rheticus-Projekt?

Natürlich suchen wir nach Lösungen im industriellen Maßstab, das ist Ziel der Power-to-X-Projekte. Eine zentrale Messgröße für den Erfolg muss dabei sein, dass wir am Ende der Vision zu kohlenstoffneutralen Erzeugungsverfahren für Kraftstoffe, aber auch für komplexe Chemie-Produkte gelangen. Da sind auch kleinere Volumina wichtig und wertvoll, weil sie den Business Case, also das Kalkulieren eines Geschäftsmodells, leichter machen.

Könnte die Produktion von Chemikalien künftig ganz dezentral erfolgen? So wie die Erzeugung der erneuerbaren Energien?

Die Dezentralität ist ein ganz großes Thema und wird bei uns intensiv diskutiert. Die Petrochemie läuft viel über große Chemieanlagen und nutzt die Economies of Scale – das könnte sich ändern. Die Produktion von Chemikalien könnte an Standorte heranrücken, wo man keine Chemie erwartet – etwa an Biogas oder Windkraftanlagen. Das ist keine triviale Fragestellung: Ist es leichter, den Strom zum Verbraucher zu bringen oder den Verbraucher zur Stromherstellung? Da spielt Logistik eine Rolle und auch gesellschaftliche Akzeptanz. Um das anzugehen, sind Konzepte wie Rheticus wertvoll, die modulare Anlagen ermöglichen.

Wie stark spielen politische Entscheidungen für den Erfolg der Projekte eine Rolle? Gerade in der Energiepolitik wird doch ständig nachgebessert.

Die grundsätzliche Vision der „Sektorkopplung“, also der integrierten Nutzung kohlenstofffreier Stromerzeugung und alternativer Kohlenstoffquellen, ist unabhängig von den politischen Rahmenbedingungen ein zentraler Bestandteil einer nachhaltigen Chemie. Allerdings verändern sich die Business Cases mit den Rohstoff- und Energiepreisen, und Letztere sind natürlich auch durch politische Entscheidungen beeinflusst. Grundsätzlich sollte man Power-to-X nicht auf die Abfederung von Stromspitzen reduzieren. Die Wertschöpfung sollte auch jenseits dieses Themas funktionieren. In der Energiewende insgesamt hat man sich vielleicht zu stark auf den Ausbau der erneuerbaren Erzeugung allein konzentriert. Gerade Projekte aus Power-to-X können einen Beitrag leisten, wieder eine bessere Balance zwischen ökologischer Erzeugung und ökonomisch sinnvollem Verbrauch zu erreichen.

 

Kopernikus

Mit den Kopernikus-Projekten für die Energiewende sollen Wissenschaft, Industrie und Anwender gemeinsam neue Energiesysteme und -konzepte so weit entwickeln, dass sie im großtechnischen Maßstab angewendet werden können. Kopernikus ist die größte Forschungsinitiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zur Energiewende. Von 2015 bis 2025 stellt das Ministerium 400 Millionen € bereit für die vier Themenfelder:

Neue Netzstrukturen (ENSURE)

Ziel: durch Kombination von dezentral und zentral erzeugtem Strom die Kosten für den Netzumbau senken

Power-to-X (Speicherung von Überschussstrom)

Ziel: mehr als 90 Prozent der erneuerbaren Energie, die nicht sofort genutzt wird, als chemische Grundstoffe, Gas oder Kraftstoff speichern

Industrieprozesse (SynErgie)

Ziel: energieintensive Produktionsprozesse an eine schwankende Energieversorgung anpassen

Systemintegration (ENavi)

Ziel: Energiewende nachhaltig und mit größtmöglicher Akzeptanz vorantreiben

In Power-to-X allein sind 46 Partner vereint – Forschungseinrichtungen, Industrieunternehmen und gesellschaftliche Institutionen. Warum eine solch komplexe Organisation?

Wir wollen eine nationale Plattform für das Thema bilden und die über Deutschland verteilten Kompetenzen zusammenführen. Über die ganze Breite der Wertschöpfungskette, von der erneuerbaren Energieerzeugung über die chemischen Produkte bis wiederum zum Motor – falls man Treibstoffe herstellt – ergibt sich eine breite Palette von Stakeholdern, die Interessen vertreten und vor allem auch schon bestehende Infrastrukturen und Forschungsaktivitäten einbringen können.

Sind Sie dann nicht mehr mit Koordination als mit Entwickeln beschäftigt?

Nein, denn wir kommen nicht von null. Durch die Erfahrungen der Teilnehmer können wir auf bestehenden Netzwerken aufbauen und vorhandene Kompetenzen nutzen. So ist man nicht die ersten zwei Jahre damit beschäftigt, unterschiedliche Gruppen dazu zu bringen, miteinander zu reden. Das ist extrem wichtig, dadurch hatten wir kaum Vorlaufzeit. Wir haben in Power-to-X schnell sechs sehr klar strukturierte Forschungscluster aufgebaut. Diese Cluster sind interdisziplinär angelegt, werden aber immer durch die Klammer einer bestimmten Technologie als gemeinsames Ziel fokussiert. Das hat den Start sehr erleichtert.

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Prof. Dr. Walter Leitner ist Inhaber des Lehrstuhls für Technische Chemie und Petrolchemie an der RWTH Aachen und Direktor für Molekulare Katalyse am Max-Planck- Institut für Chemische Energiekonversion

»»Projekte aus Power-to-X können einen Beitrag leisten, wieder eine bessere Balance zwischen ökologischer Erzeugung und ökonomisch sinnvollem Verbrauch zu erreichen.« «

WALTER LEITNER RWTH Aachen

Was genau ist das Neue an Power-to-X?

Vor allem die angesprochene Sektorkopplung – also dass wir ganz unterschiedliche industrielle Sektoren vor dem Hintergrund der zu entwickelnden Technologien zusammenführen. Das reicht von den Energieerzeugern über die Chemiewirtschaft, die verarbeitende Industrie im Hinblick auf entstehende chemische Produkte bis zur Automobilwirtschaft. Dazu kommt die neue Dimension, dass man die erneuerbaren Energien als Input für die stoffliche Umwandlung nutzen kann. Wir machen mehr daraus als „nur“ Methan, um Energie zu speichern. Oder anders ausgedrückt: Wir ernten die erneuerbaren Energien! Und das eben auch in komplexen chemischen Molekülen für unterschiedliche Wertschöpfungsketten, nicht nur in einfachen Verbindungen zur Energiespeicherung.

Wie ist Power-to-X strukturiert?

Die ersten drei Cluster beschäftigen sich damit, wie aus elektrischer Energie chemische Grundstoffe erzeugt werden – etwa Kohlenmonoxid oder Wasserstoff. Diese sogenannten Power- Moleküle sind dann Thema der nächsten drei Cluster: Wie lassen sich daraus chemische Produkte mit höherer Wertschöpfung schaffen? Aus Chemiker-Sicht würde man sagen erst der Elektrolyse-Teil, dann folgt der Katalyse-Teil.

Das ist die Chemie. Wie steht es mit der gesellschaftlichen Akzeptanz? In Kopernikus sind ja gesellschaftliche Institutionen eingebunden. Wie laufen bisher die Diskussionen?

Sehr intensiv. Und nicht immer nur in Harmonie … Aber die Debatten sind sehr konstruktiv. Bei allen Projekten geht es um den Dreiklang der Nachhaltigkeit: Ökonomie, Ökologie UND gesellschaftliche Akzeptanz. Da hilft es, zum Beispiel schon früh gemeinsam darüber nachzudenken, wie bürgerliche Beteiligungsmodelle bei einer dezentralen Chemieproduktion aussehen könnten. Ähnlich wie bei einem Windrad können sich auch Gemeinden beteiligen – das ist jedoch noch Zukunftsmusik. Aber die Debatte wird parallel zur technischen Forschung vorangetrieben. Das Ziel ist Beteiligung, die Bezeichnung Akzeptanz greift eigentlich zu kurz.

Im Grunde gibt es am Konzept von Power-to-X doch nichts zu kritisieren, oder?

Na ja, es gibt schon offene Fragen. Zum Beispiel ob man den sogenannten Überschussstrom nutzt oder spezifische Anlagen wie Windräder zur Versorgung von Chemieanlagen baut. Oder wie hoch das Produktrisiko bei einer dezentralen Herstellung von Chemikalien ist. In einem Chemiepark ist alles abgesichert, irgendwo auf dem Land nicht. Da sind wir in der Diskussion zwischen lokalem Umweltschutz und globalem Klimaschutz.

Sie forschen schon seit Jahren im Bereich nachhaltiger Chemieproduktion. Jetzt fällt Ihnen diese riesige Forschungsoffensive quasi in den Schoß. Ist Kopernikus für Sie persönlich ein Glücksfall?

Von der Dynamik, die in den Bereich jetzt reinkommt, bin ich natürlich hellauf begeistert! Auch wenn das Projekt nicht ganz von allein bei uns angekommen ist, wir mussten in der Koordinationsgruppe zusammen mit Professor Kurt Wagemann von der Dechema und Professor Rüdiger Eichel vom FZ Jülich schon ein bisschen was dafür tun … Die chemische Umwandlung fossiler Rohstoffe hat uns wunderbare Dinge ermöglicht – die Verlängerung der Lebenserwartung, die Ernährung einer immer größeren Zahl an Menschen, die Erhöhung des Lebensstandards – aber sie hat eben auch Auswirkungen auf die Umwelt, vor allem in Bezug auf CO2-Emissionen. Jetzt erhalten wir die Chance, die den Kohlenstofffußabdruck zu verringern und gleichzeitig bessere chemische Produkte herzustellen. Das ist doch toll.

Kopernikus läuft bis 2027. Was ist Ihr Wunschergebnis?

Dass wir mindestens drei Technologien so weit bringen, dass sie bis dahin den Schritt in die industrielle Realität schaffen. Rheticus entwickelt sich da schon mit Volldampf in die richtige Richtung.