Ohne Tenside wären Spülmittel, Duschgels oder Shampoos wirkungslos. Gemeinsam mit Unilever hat Evonik nun ein besonders effizientes Tensid auf Basis von Rhamnolipiden entwickelt – aus biologischen Quellen und vollständig abbaubar. Großen Bedarf sehen Experten vor allem in Schwellenländern.
Was die meisten als lästige Küchenarbeit erleben, ist für Testspüler eine Arbeit mit wissenschaftlichem Anspruch. Geschirr, Gläser und Töpfe werden aufwendig präpariert, um alltägliche Herausforderungen am Spülbecken zu simulieren: Müslireste in der Schüssel, angetrockneter Reis im Topf, erkaltetes Bratfett in der Pfanne. Dann werden die Proben unter identischen Bedingungen mit verschiedenen Spülmitteln gereinigt und die Ergebnisse verglichen.
Ein wichtiger Aspekt dabei ist die „Mileage“, ein Wert, der bei Autos die Reichweite mit einer bestimmten Menge Treibstoff beziffert. Im Spüllabor bezieht er sich auf die Menge Geschirr, die die Tester spülen können, bevor der Schaum auf dem Spülwasser verschwunden ist. „Je früher der Schaum zusammenbricht, desto eher wechselt der Konsument das Spülwasser“, sagt Dr. Hans Henning Wenk, Leiter der Forschungsabteilung im Bereich Care Solutions von Evonik. Das bedeutet zusätzlichen Verbrauch von Wasser, Energie und Spülmittel.
Verantwortlich für den Schaum sind Tenside. Sie machen je nach Marke und Typ zwischen fünf und 30 Prozent des Inhalts einer Spülmittelflasche aus. Sie sind entscheidend für die Effizienz des Produkts und für seine Umweltfreundlichkeit. Wirkungsvolle Tenside sind somit ein wichtiger Faktor für den Verkaufserfolg eines Reinigungsmittels.
Der jährliche Umsatz mit Tensiden auf Basis biologischer Rohstoffe liegt weltweit bei mehr als vier Milliarden US-$. Für 2022 rechnen Experten mit einem Anstieg auf 5,5 Milliarden $ (siehe Data Mining, Seite 41). Getrieben wird diese Steigerung sowohl vom Verbraucher, der zunehmend Wert auf umweltfreundliche Lösungen legt, als auch von den Behörden, die deutlich höhere Anforderungen an die biologische Abbaubarkeit von Reinigungssubstanzen stellen. Europa ist ein wichtiger Produktionsstandort von Tensiden – und Evonik ist ein bedeutender Spieler. Gemeinsam mit dem Konsumgüterkonzern Unilever haben Spezialisten von Evonik ein neuartiges Tensid entwickelt, das nicht nur sehr gut spült und die Haut pflegt, sondern auch vollständig biologisch abbaubar ist. „Biotenside sind Gamechanger in der Haushaltsreinigung und darüber hinaus“, sagt Wenk, „und wir haben mit unserer Technologie das Potenzial, die Herstellung von Reinigungsmitteln grundlegend zu verändern.“
Tenside arbeiten nach einem simplen Prinzip: Sie haben ein Ende, das Wasser „liebt“, und eines, das sich mit Fett verbindet (siehe Grafik Seite 39). So sorgen sie dafür, dass der gelöste Schmutz nicht wieder am Geschirr landet. Das neue Biotensid basiert auf sogenannten Rhamnolipiden, die deutlich besser verträglich für Wasserorganismen sind als bislang eingesetzte Tenside.
SO FUNKTIONIEREN TENSIDE
Tenside haben ein hydrophiles (Wasser liebendes) und ein lipophiles (Fett liebendes) Ende. Wird eine verschmutzte Oberfläche mit Wasser gewaschen, ziehen die Schmutzpartikel das lipophile Ende an, während sich das hydrophile Ende zum Wasser ausrichtet. Diese entgegengesetzten Kräfte lockern die Schmutzpartikel und lösen sie im Wasser. Dort ordnen sich die Tenside mit ihren lipophilen Enden um die Schmutzpartikel herum an und schließen sie in sogenannte Mizellen ein, die mit dem Schmutzwasser entfernt werden.
BAKTERIUM ALS WEGBEREITER
Ausgangspunkt für den Saubermacher ist ein Bakterium, das gern im Dreck ist: Pseudomonas aeruginosa. Es lebt im Boden und ernährt sich von Fetten. 1900 wurde es entdeckt, blieb jedoch zunächst weitgehend unbeachtet. Das mag auch daran liegen, dass es als pathogen eingestuft wird: In großen Mengen aufgenommen, ist es für den Menschen gesundheitsschädlich. Erst in den 1960er-Jahren fand man heraus, dass das Bakterium nützliche Rhamnolipide produziert, wenn auch nur in winzigen Mengen. Die Idee, die säubernden Eigenschaften dieser Lipide zu nutzen, blieb zunächst eine Vision. Aber als es im Jahr 2000 gelang, das Genom des Bakteriums zu entschlüsseln, griffen Forscher diese Idee wieder auf.
Ein Tensid verwenden die Menschen bereits seit Jahrtausenden: Seife. An dessen Stelle traten später Tenside auf Basis petrochemischer Rohstoffe. Die erste Generation dieser Produkte sorgte allerdings dafür, dass sich auf Abwässern und in Flüssen riesige Schaumberge bildeten. Die Tenside wurden in der Wasseraufbereitung nicht abgebaut, gelangten in die Umwelt und schädigten dort Organismen. Heute ist vorgeschrieben, dass sich Tenside in Kläranlagen innerhalb von vier Wochen zum größten Teil abbauen lassen müssen.
Den Wunsch der Verbraucher, nachhaltige Produkte zu nutzen, die genauso leistungsfähig sind wie herkömmliche, wurde immer größer. 2008 startete Hans Henning Wenk deshalb mit einem Forscherteam in Essen ein Projekt zur Entwicklung einer neuen Generation von Tensiden für Reinigungs- und Pflegeprodukte. „Anfangs haben Verbraucher akzeptiert, dass umweltfreundliche Produkte weniger gut waren als der Standard“, erinnert er sich. „Aber diese Zeiten sind vorbei.“
Die Forscher entschieden sich für den Einsatz von Rhamnolipiden, denn die bauen sich vollständig biologisch ab, und zwar mit und ohne Sauerstoff. Zudem entfernen sie Schmutz genauso zuverlässig wie sehr gute synthetische Tenside. Hinzu kommt die Hautfreundlichkeit, im Fachjargon „Mildheit“ genannt: Nach dem Spülen, Duschen oder Baden fühlt sich Haut angenehm gepflegt an.
Wenk und seine Kollegen machten sich auf die Suche nach einem alternativen Bakterium, das Rhamnolipide ohne Gesundheitsrisiko herstellen kann und eine möglichst hohe Ausbeute ermöglicht. Zugleich legten sie fest, dass Zucker als Basis dienen sollte, denn der ist überall aus regionalen Quellen erhältlich, die nicht mit sensiblen Ökosystemen konkurrieren. „Das war eine Wette auf die Zukunft“, sagt Wenk im Hinblick auf den finanziellen und zeitlichen Aufwand. „Wir haben ordentlich was in die Hand genommen.“
INTERNATIONALE PARTNERSCHAFT
Für die Produktion wählte das Team einen Bakterienstamm aus der Familie Pseudomonas putida, der bereits für andere industrielle Anwendungen genutzt wird. Dabei handelt es sich um einen gut erforschten Sicherheitsstamm, der für Menschen, Tiere und Pflanzen ungefährlich ist und sich nur unter künstlich hergestellten Bedingungen stark vermehrt. Diesem Stamm wurden dann Eigenschaften des Ausgangsbakteriums einprogrammiert. Schritt für Schritt gelang es den Forschern, die Leistungsfähigkeit der Bakterien so zu erhöhen, dass eine kommerzielle Nutzung der produzierten Rhamnolipide möglich erschien.
Unter dem Mikroskop sieht das Bakterium unspektakulär aus: ein längliches Gebilde mit ein paar Fäden an einem Ende. Für die Forschung aber stellten sich Rhamnolipide als hoch attraktiv heraus. Dies blieb auch Unilever nicht verborgen. 2015 stellte sich heraus, dass der niederländisch-britische Konsumgüterhersteller ebenfalls an der Entwicklung von Tensiden auf deren Basis arbeitete. Aus der Geschäftsbeziehung zu Evonik ergab sich ein gemeinsames Entwicklungsprojekt. „Unser Forschungs- und Entwicklungsteam ist mit Rhamnolipiden seit Jahren vertraut, allerdings waren Technologie und Wissenschaft noch nicht an dem Punkt angekommen, an dem eine industrielle Produktion möglich gewesen wäre“, sagt Peter Ter Kulve, President des in London beheimateten Home-Care-Geschäfts von Unilever. Für dieses Scale-up brachte Evonik ihre Kompetenz ein. Das Marktpotenzial ist enorm:
2,5 Milliarden Menschen verwenden täglich Unilever-Produkte. Allein die Sparte Home Care setzt jährlich mehr als elf Milliarden € um.
Der Durchbruch in der Produktion im großen Maßstab gelang 2016 im slowakischen Evonik-Werk in Slovenská Ľupča. Dort beschäftigt der Konzern seit vielen Jahren Spezialisten für Fermentation, unter anderem zur Herstellung von Tensiden auf Basis biologischer Rohstoffe.
HERAUSFORDERUNG SCHAUM
„Wenn Sie 5.000 statt zehn Liter einer Substanz produzieren, reicht es nicht, die Werte einfach zu multiplizieren“, sagt Wenk. Auch Drücke, Prozesse und Temperaturen müssten angepasst werden. Als größtes Problem erwies sich ausgerechnet das, was die Rhamnolipide für den Endverbraucher so attraktiv macht: der Schaum. Bei der Anwendung soll das Produkt zwar schäumen, nicht jedoch bei der Produktion. Stimmen die Parameter, läuft die Produktion reibungslos (wie die Produktion funktioniert, erfahren sie hier). Als Rohstoff wird in den Fermentern in Slovenská Ľupča simpler Traubenzucker genutzt. Die Umsetzung von Zucker zu Rhamnolipiden erledigt der Bakterienstamm im Fermenter bei Zimmertemperatur.
Seit 2018 sind die Rhamnolipide auf dem Markt. Unter dem Namen Rheance One wurde zunächst eine Lösung für Pflegeprodukte entwickelt. Das Produkt kam sehr gut an, und das Forscherteam erhielt interne und externe Preise dafür. Unilever zielt jedoch auf einen anderen Markt: den für Spülmittel. Ein besonderes Augenmerk legt der Konzern auf die Nachhaltigkeit seiner Produkte und die Situation in Schwellenländern. Dort steigt das Bedürfnis nach Hygiene und Sauberkeit, zugleich haben nur wenige Haushalte eine Spülmaschine. Handspülmittel sind daher stark gefragt. Hinzu kommt: Abwasser wird oft weniger intensiv aufbereitet als in Industrieländern. Ein vollständig abbaubarer Inhaltsstoff ist da von besonderem Vorteil.
Für die Markteinführung entschieden sich die Experten von Unilever für Chile und die dort sehr populäre Marke Quix. Wichtigstes Verkaufsargument war die Umweltverträglichkeit, auf die Chilenen bei Kaufentscheidungen großen Wert legen. Unilever wertet die Markteinführung als Erfolg, weitere Länder sollen nun folgen.
Zugleich prüft Evonik den Bau einer neuen Großanlage. Dass der Bedarf an Rhamnolipiden in Zukunft kräftig steigen wird, gilt unter Experten als sicher.