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Lithium-Recycling auf neuen Wegen

Lesedauer 10 min
14. September 2022

Der Ausbau der Elektromobilität soll helfen, das Klima zu retten – und hinterlässt dennoch durch den Abbau des benötigten Lithiums weit sichtbare Spuren auf der Erde. Das Recycling dieses wichtigen Rohstoffs für die Batterieproduktion senkt diese Umweltbelastung. Hochleistungsmembranen von Evonik könnten dabei schon bald im Mittelpunkt stehen.

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Von Christoph Bauer

Redakteur und Textchef der ELEMENTS

Grün, türkis, gelb – in unzähligen Farben leuchten die riesigen Becken in der gleißenden Sonne. Die Salinen in der schier endlosen Ebene der Atacamawüste in Chile zählen zu den Hauptlieferanten des „weißen Goldes“: Lithium. In Australien werden sogar noch größere Mengen aus Hartgesteinsmineralien im Tagebau gewonnen. Diese Minen reichen mehr als 100 Meter in die Tiefe, an ihren Rändern bahnen sich Lkw ihren Weg über schmale, spiralförmig angelegte Pisten in die Höhe und in die Tiefe.

Die gigantischen Abbaustätten sind ein weithin sichtbares Zeichen der globalen Verkehrswende: weg von Verbrennungsmotoren, hin zu Elektroantrieben mit wiederaufladbaren Batterien, in denen jede Menge Lithium steckt. Was auf der einen Seite der Umwelt nützt, führt auf der anderen Seite zu erheblichen Schäden. In der Atacamawüste lässt zwar die Sonne das Wasser verdunsten, sodass die Konzentration des Lithiums ohne zusätzliche Energiezufuhr erhöht werden kann. Doch für den Betrieb werden erhebliche Mengen an Wasser benötigt, was das knappe Grundwasser weiter absinken lässt. Auch Tagebaue wie in Australien führen immer häufiger zu Konflikten mit den Bewohnern der Gegenden. Ein Dilemma, an dessen Lösung Evonik mitarbeitet – auf Basis der Membrankompetenz des Unternehmens.

ELEKTROMOBILITÄT ALS TREIBER

Ohne die relevanten Batteriematerialien wie Lithium, Kobalt und Nickel, da sind sich die Experten einig, wird die Elektromobilität in den kommenden Jahrzehnten nicht vorankommen. Im Gegenteil: Der Bedarf an Lithiumcarbonat und Lithiumhydroxid, maßgebliche Rohstoffe für die Produktion von Lithium-Ionen-Batterien, wird gewaltig steigen. In jedem E-Auto kommen bis zu zehn Kilogramm davon zum Einsatz.

Weltweit lag der Bedarf 2018 bei 59.000 Tonnen Lithiumcarbonat-Äquivalenten. 2025 soll dieser Wert nach Berechnungen des US-amerikanischen Produzenten Albemarle bereits 650.000 Tonnen betragen, also gut das Elffache. Lithium wird zwar auch für andere Anwendungen benötigt, etwa bei der Produktion von Keramik oder Schmierstoffen  – „der entscheidende Treiber für die Nachfrage nach Lithium wird jedoch die Elektromobilität sein“, sagt Dr. Elisabeth Gorman, die bei der Creavis – strategische Innovationseinheit und Business-Inkubator von Evonik – die Neugeschäftsentwicklung für Lithium-Recycling verantwortet.

»Der entscheidende Treiber für die Nachfrage nach Lithium wird die Elektromobilität sein.«

ELISABETH GORMAN BUSINESS DEVELOPMENT MANAGER BEI DER CREAVIS

RECYCLING WIRD ATTRAKTIVER

Um den vermehrten Bedarf an Lithium auch in Zukunft zu decken, wird in den Ausbau von Lithiumquellen und Anlagen zur Aufbereitung des Rohstoffs investiert. Ein weiterer wichtiger Zugang zum Lithium wird künftig das Recycling sein. An den Standorten Hanau und Marl arbeitet Evonik an einem Entwicklungsprojekt, um hochreines Lithium aus Batterieabfällen zu gewinnen.

Die Wiederverwertung von Lithium aus Altbatterien würde gleich zwei Probleme lösen: die Deckung des rasant wachsenden Bedarfs und die sinnvolle Entsorgung der Energiepakete, die bei unsachgemäßer Behandlung immer noch genug Restladung in sich haben, um einen Brand auszulösen. Zurzeit ist das Recycling von Lithium sehr aufwendig. Das Material landet daher am Ende des Lebenszyklus der Batterien fast vollständig im Müll. Selbst der Anteil, der nach der Rückgewinnung von Kobalt und Nickel in der Recyclinganlage zusammen mit anderen Reststoffen übrig bleibt, wird häufig in der Prozessschlacke gebunden und lediglich in der Bauindustrie als mineralischer Zuschlagstoff in Fertigbeton verwendet – ein schmähliches Ende des „weißen Golds“.

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Weit weg von den Nutzern: Arbeiter bereiten am Salzsee von Uyuni in Bolivien den Bau einer Versuchsanlage zur Lithiumgewinnung vor.

Und was heute deponiert wird, ist erst ein Vorgeschmack auf das, was die Zukunft bringen wird. Noch stehen wir ganz am Anfang des Zeitalters der Elektromobilität. Mehrere Stufen zeichnen sich auf dem Weg zum Recycling ab. Batterien, die derzeit im Einsatz sind, werden für mehrere Jahre auf den Straßen unterwegs sein. Wenn das Fahrzeug, das sie antreiben, am Ende seiner Lebensdauer verschrottet wird, erbringen die Akkus oft noch 70 bis 80 Prozent ihrer ursprünglichen Leistung. Sie können demontiert und in Containern zu Stromspeichern zusammengeschaltet werden. Mercedes-Benz hat bereits vor Jahren Versuchsprojekte an verschiedenen Standorten mit solchen „Second Life“-Batterien gestartet, um Produktionsanlagen vor Schwankungen im Stromnetz abzusichern.

Irgendwann lohnt sich der Einsatz dieser wiederaufladbaren Batterien jedoch nicht mehr. Statt die Akkus zu entsorgen, rückt an diesem Punkt das Recycling in den Blickpunkt. Die Wiederverwertung von Lithium und anderen Inhaltsstoffen wird wirtschaftlich immer attraktiver. Sowohl für Kobalt als auch für Nickel hat sich der Preis in den vergangenen zwei Jahren mehr als verdoppelt. Der Preis für Lithiumcarbonat ist zwar langsam und kontinuierlich bis Anfang 2021 gefallen, seitdem hat er sich aber fast verzehnfacht. Damit sind alle wesentlichen Bestandteile einer Lithium-Ionen-Batterie so teuer geworden, dass die Wiederverwendung nicht nur ökologisch sinnvoll ist, sondern sich auch ökonomisch lohnt. „Zugleich bauen viele Länder regulatorischen Druck auf“, sagt Elisabeth Gorman.

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Elisabeth Gorman ist bei der Creavis für die Neugeschäftsentwicklung beim Lithium-Recycling zuständig.

In der Europäischen Union müssen in vier Jahren mindestens 35 Prozent des Lithiums in verbrauchten Batterien zurückgewonnen werden. Bis 2030 steigt der Anteil auf 70 Prozent. „Auch bei der Verarbeitung setzt die EU Mindeststandards“, ergänzt die Evonik-Expertin. „In neuen Batterien müssen 2030 wenigstens zwölf Prozent recyceltes Kobalt, 20 Prozent wiederverwendetes Nickel und vier Prozent aufgearbeitetes Lithium stecken.“ China verpflichtete bereits 2018 die heimischen Autofabriken, Lösungen für Batterien zu finden, die ihren ersten Lebenszyklus hinter sich haben. Die USA haben noch keine landesweite Regelung vorgelegt, die Bundesstaaten sollen sich des Problems annehmen.

Um die Quoten der EU künftig zu erreichen, sind schnell zusätzliche Recyclingkapazitäten erforderlich. 2023 werden in der Europäischen Union Altbatterien mit einem Gewicht von voraussichtlich 100.000 Tonnen fürs Recycling fällig sein. Über die Zahl der bereits verkauften Elektrofahrzeuge lässt sich abschätzen, dass es 2025 bereits 300.000 Tonnen sein werden, weltweit wird das Volumen dann bei einer Million Tonnen liegen. Überall steigen die Anstrengungen, Lithium aus verbrauchten Batterien zurückzugewinnen. Ein weiterer Grund hierfür ist, dass der Transport frisch gewonnener Lithiumsalze aus entfernten Regionen wie Südamerika oder Australien energieintensiv ist und damit die CO2-Bilanz belastet. Das Verschiffen der Rohmaterialien ist teuer, mancherorts werden Zölle aufgeschlagen. Da liegt es nahe, den Stoff, wenn er schon einmal in einer Region vorhanden ist, dort möglichst weiter zu nutzen.

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(links) Im Evonik-Labor in Hanau werden Muster der Keramikmembran vermessen. (rechts) 2021 wurden weltweit mehr als 6,5 Millionen E-Autos verkauft. In vielen Ländern entstehen neue Produktionsanlagen. Sogar schwere Pick ups wie der Ford F-150 werden mittlerweile mit Elektroantrieb angeboten.

LITHIUM AUS SCHWARZER MASSE

Evonik begleitet diese Entwicklung seit Jahren mit wachsendem Interesse. 2019 setzte sich beim Ideation Jam, dem unternehmensinternen Ideenwettbewerb, das Team „Blue Lithium“ durch. Vom ursprünglichen Konzept, Lithium aus Meerwasser zu gewinnen, schwenkte das Team auf eine Technik um, die Reststoffe aus Recyclinganlagen herausfiltert. Ein Jahr lang wurde das Verfahren im Konzern weiterentwickelt, seither treibt es die Creavis voran. Im Kern geht es darum, Lithium unter möglichst geringem Einsatz von Energie und Chemikalien aus sogenannter schwarzer Masse zu gewinnen. Darunter verstehen Fachleute das, was von Lithium-Ionen-Akkus übrig bleibt, nachdem die Kunststoffteile entfernt wurden und der Rest zerkleinert worden ist.

LITHIUM AUS DER ELEKTROLYSE

Ein lithiumhaltiger Abwasserstrom aus der Recyclinganlage fließt zwischen der Anode und der von Evonik entwickelten Keramikmembran. Die Lithiumionen mit positiver Ladung werden von der negativen Kathode angezogen und wandern zur Membran. Sie enthält ebenfalls Lithiumionen (Li+), sodass diese aus dem Abwasserstrom von einer lokalisierten Stelle in der Membran zur nächsten springen können. Mittels dieses „Hopping-Mechanismus“ gibt die Membran immer genau so viele Lithiumionen in Richtung der Kathode ab, wie sie aus der Richtung der Anode aufnimmt. Zugleich reagiert das Wasser mit den Elektronen an der Kathode zu Wasserstoff (H2) und Hydroxid (OH–), das mit den Lithiumionen zu Lithiumhydroxid reagiert – dem gewünschten Produkt.

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Einige Methoden zur Wiederaufbereitung der fein gemahlenen Inhaltsstoffe werden bereits angewendet. Sie basieren entweder auf Schmelzprozessen (pyrometallurgischen Verfahren), auf der Verwendung von Laugen (hydrometallurgischen Verfahren) oder auf einer Kombination aus beidem. Bewährt haben sich diese Prozesse für Kobalt und Nickel, die bereits in hoher Ausbeute isoliert und als Sekundärrohstoff wiederverwendet werden. Was an Reststoffen übrig bleibt, enthält jedoch noch das Lithium, dessen Rückgewinnung sich bisher finanziell kaum lohnte.

NACHHALTIGERES VERFAHREN

Doch nun arbeitet Evonik bei der Entwicklung weiterführender Technologien mit Unternehmen zusammen, die sich darauf spezialisiert haben, die Materialien sogenannter End-of-life-Batterien weiter zu nutzen, und das weiße Gold aus der schwarzen Masse herausholen wollen. Diese Unternehmen haben Erfahrung im Recycling von Lithium-Ionen-Batterien aus haushaltstypischer und industrieller Nutzung. Bisher gewinnen sie daraus Aluminium, Kupfer, Stahl und Edelstahl zurück.

Die derzeitigen Prozesse zur Aufarbeitung von Lithium sind jedoch nicht effizient genug, weshalb das Metall nur in geringen Mengen zurückgewonnen wird. Gemeinsam mit den Recyclingfirmen will Evonik nun ein besseres Verfahren mit dem Ziel finden, die Lücke zur geschlossenen Kreislaufwirtschaft von Lithium als Batterierohstoff zu schließen. Bisher gängige Verfahren zur Rückgewinnung von Lithium aus Batterieresten arbeiten häufig mit einem aufwendigen Fällprozess. Hierbei wird die Konzentration der Lithiumsalze im wässrigen Abfallstrom erhöht und anschließend mit Natriumcarbonat, also Soda, ausgefällt. Das entstehende Lithiumcarbonat muss aufwendig von bei der Reaktion entstehenden Stoffen gereinigt sowie durch Zugabe von Calciumhydroxid zu Lithiumhydroxid umgesetzt werden. Erst dann steht es wieder als Rohstoff für die Herstellung von Lithium-Ionen-Akkus zur Verfügung. Das gesamte Verfahren ist kostenintensiv, erfordert zusätzliche Chemikalien, verbraucht sehr viel Wasser und ist damit wirtschaftlich wenig attraktiv für Batterierecycler.

Die Evonik-Experten arbeiten an einem einfacheren und nachhaltigeren Verfahren. Sie wollen in einem kontinuierlichen Vorgang und mit nur einem Schritt das Lithium zurückgewinnen. Dabei setzen sie auf einen elektrochemischen Prozess zur Aufreinigung der Lithiumsalze aus den wässrigen Abfallströmen. Auf diesem Gebiet ist Patrik Stenner Fachmann. Er arbeitet als Prozessingenieur im Bereich Verfahrenstechnik & Engineering am Standort Hanau und leitet dort die Gruppe Electrochemical Processes & Exploration.

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Im Labor am Evonik-Standort in Hanau läuft eine Anlage im Versuchsmaßstab. Die Ergebnisse sind vielversprechend.

Stenner entwickelt in seinem Labor eine neuartige Elektrolysezelle, deren Besonderheit in einer lithiumselektiven Keramikmembran zwischen Anode und Kathode besteht. Der wässrige Abfallstrom aus der Recyclinganlage wird durch die Zelle geführt, wobei Lithiumionen mit dem im Prozess entstehenden Hydroxid (OH–) zu Lithiumhydroxid reagieren und zusätzlich Wasserstoff (H2) entsteht. „Das Produkt ist so rein, dass es ohne weitere Aufbereitung die hohen Anforderungen an ,Battery Grade‘-Material erfüllt und sofort für die Batterieproduktion genutzt werden kann“, so Stenner. Kann also die Produktion in großem Stil starten? Patrik Stenner lächelt: „Im Labor sehen die Ergebnisse schon sehr vielversprechend aus, und wir testen bereits einen Prototyp. Aber das hier ist ein Forschungsprojekt. Es gibt noch eine ganze Reihe Fragen zu lösen, bevor wir den Prozess in industriellem Maßstab umsetzen können.“

Schon jetzt zeichnet sich aber ab, dass dieser Prozess besser handhabbar, effizienter und nachhaltiger sein wird als die bisherigen Verfahren. Die Leitungsfähigkeit der Keramikmembran ist im Labormaßstab mit einer Rückgewinnungsquote von mehr als 99 Prozent exzellent. Erste Vergleiche legen nahe, dass der neue Prozess wirtschaftlicher und kosteneffizienter sein müsste als die bislang genutzten Methoden. Bei der Entwicklung profitieren die Evonik-Experten sowohl von ihren Membranerfahrungen als auch von ihrem Partikel-Know-how. Als Spezialisten für Materialien im Nanometermaßstab wie Siliziumdioxid und weitere Spezialoxide sowie deren Eigenschaften und Anwendungen wissen sie genau, wie sie eine keramische Membran, die nur Lithiumionen „durchlässt“, erzeugen können. Nun stehen die ersten Tests mit „echtem“ Abwasser an, danach muss der nächste Schritt zu einer Pilotierung gelingen.

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Dank der Keramikmembran lässt sich Lithium aus Abwässern in so hoher Reinheit herausfiltern, dass es direkt für die Herstellung neuer Batterien genutzt werden kann.

LITHIUM AUS NATÜRLICHEN QUELLEN

Im traditionellen Autobauerland Deutschland herrscht bei Lithium eine große Nachfrage. Tesla hat gerade erst in der Nähe Berlins ein Autowerk eröffnet, gleich nebenan möchte Unternehmenschef Elon Musk auch eine Batteriefabrik bauen. Hersteller wie Volkswagen, Mercedes-Benz, BMW, Audi oder Porsche hegen ebenfalls Pläne und wollen meist in Kooperation mit Batterieherstellern Werke in der Nähe ihrer Produktionsstätten bauen. Sie schaffen so im Herzen Europas eine enorme Lithiumnachfrage.

Eine potenzielle Quelle hierfür wäre in Sachsen verfügbar, wo im Erzgebirge nahe der deutsch-tschechischen Grenze seit je Bergbau betrieben wird. In der vor 75 Jahren größtenteils stillgelegten Mine Zinnwald wurde Lithium entdeckt, das unter Tage bis nach Tschechien hinein zu finden ist. Mehr als 35 Millionen Tonnen Erz werden hier unter der Erde vermutet. Das Zinnwaldit genannte Mineral enthält im Durchschnitt 1,6 Prozent Lithium. Allein auf der deutschen Seite des Erzgebirgskamms umfasst die Lagerstätte rund 125.000 Tonnen Lithium. Das entspricht etwa 650.000 Tonnen Lithiumcarbonat und wäre genug, um damit rund 20 Millionen Elektroautos wie den ID.3 von Volkswagen auszurüsten, rechnet Armin Müller von der Betreiberfirma Deutsche Lithium vor. Bis zur neuen Tesla-Fabrik sind es gerade einmal 250 Kilometer. Ein klarer Standortvorteil gegenüber Chile oder Australien.

Natürliche Lithiumsole-Vorkommen lassen sich ebenfalls mit dem Verfahren nutzen – was auch in Deutschland einen weiteren Rohstoffstrom erschließen würde. Ganz im Westen Deutschlands hat sich das australische Unternehmen Vulcan Energy mit dem regionalen Energieversorger am Oberrheingraben zusammengeschlossen. Gehört Tesla dem reichsten Mann der Welt, so ist Vulcan Energy im Besitz einer der reichsten Frauen der Welt, der Multimilliardärin Gina Rinehart. Ihr Unternehmen strebt die Gewinnung von Lithium ohne CO2-Ausstoß an. Das Metall soll aus thermalem Tiefenwasser gewonnen werden, das aus vulkanischem Gestein im Untergrund an die Oberfläche gelangt. Das 120 Grad heiße Tiefenwasser wird an die Oberfläche gepumpt, die Wärme genutzt, Lithium extrahiert und das abgekühlte Wasser dann in einen anderen Bereich in der Tiefe zurückgepumpt. Ein ähnliches Verfahren will die RAG-Stiftung, Hauptaktionärin von Evonik, mit Grubenwasser aus stillgelegten Zechen im Ruhrgebiet etablieren.

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In dieser südkoreanischen Fabrik werden alte und defekte Lithium-Ionen-Batterien geschreddert. Aus dem dabei entstehenden Pulver, der sogenannten schwarzen Masse (links), lassen sich wertvolle Rohstoffe wie Nickel, Kobalt und Lithium zurückgewinnen.

ENTWICKLUNG BIS 2025

Die Evonik-Fachleute Gorman und Stenner halten die Einsatzgebiete in der sogenannten primären Lithiumgewinnung für spannend. „Für uns wäre das allerdings erst der zweite Schritt“, so Gorman. „Wir konzentrieren uns zunächst auf die Sekundärlithiumgewinnung, also das Recycling.“ Sie sind zuversichtlich, dass sie das Keramikmembran-Verfahren in drei bis fünf Jahren bis zur Marktreife entwickelt haben.

Selbst recyceln werde Evonik jedoch nicht, betont Gorman. Diese Aufgabe werden Betreiber von Recyclinganlagen übernehmen, die mit der Keramikmembran „made by Evonik“ die Ausbeute relevanter Rohstoffe für die Batterieproduktion erhöhen können. Solche spezialisierten Unternehmen entstehen aktuell in großer Zahl, dabei handelt es sich vor allem um Kooperationen von Batterieherstellern, Recyclingunternehmen und Autobauern.

Einen bedeutenden Markt sehen die Evonik-Fachleute in China, einem globalen Vorreiter bei der Elektromobilität. Einer Studie der Beratungsgesellschaft PwC zufolge rollten dort im ersten Quartal 2022 eine Million Elektroautos neu auf die Straßen – das sind zwei Drittel aller auf der Welt zugelassenen batteriebetriebenen Pkw. Bereits 15 Prozent aller Neufahrzeuge sind dort E-Autos. Zum Vergleich: In den wichtigsten europäischen Märkten sind es 13 Prozent, in Südkorea sieben Prozent, in den USA fünf Prozent und in Japan lediglich ein Prozent.

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Patrik Stenner mit einer Probe des Vormaterials, aus dem die keramische Membran hergestellt wird. Sein Ziel ist es, das Verfahren auch in industriellem Maßstab zu realisieren.

Deutsche Autobauer hatten lange ein Problem, mit elektrischen Wagen auf dem chinesischen Markt Fuß zu fassen. Durch neue Modelle und mehr Produktion vor Ort gelang es ihnen nun innerhalb eines Jahres, den Marktanteil von zwei auf vier Prozent zu verdoppeln. Eine größere Wertschöpfungstiefe würde den Unternehmen helfen, diesen Weg auszubauen, meint PwC-Autoexperte Jörn Neuhausen: „Neben Investitionen in eine lokale Batterieproduktion und dem Aufbau von Gigafactorys in Europa und den USA könnten zukünftig auch Partnerschaften mit Rohstoffherstellern eine größere Rolle für Automobilhersteller spielen, um die Abhängigkeit von volatilen Lieferketten zu reduzieren.“

»Unser Verfahren soll effektiver und energiesparender sein als bisherige Methoden.«

PATRIK STENNER VERFAHRENSINGENIEUR AM EVONIK-STANDORT HANAU

GLOSSAR

Zelle Kleinste elektrochemische stromproduzierende Einheit einer Batterie. Die Zelle besteht aus zwei Elektroden, Elektrolyt, Separator und Gehäuse. Bei der Entladung wird gespeicherte chemische Energie durch die elektrochemische Redoxreaktion in elektrische Energie umgewandelt.

Batterie Zusammenschaltung mehrerer Zellen. In Primärbatterien sind die Reaktionen bei der Entladung nicht oder nur teilweise umkehrbar, sie können also nicht wieder aufgeladen werden.

Akku Sekundärbatterie, in der die die Entladereaktionen weitgehend umkehrbar sind, sodass eine mehrfache Umwandlung von chemischer in elektrische Energie und zurück möglich ist. Sie wird Akkumulator oder kurz Akku genannt.

Lithiumbatterie Primärbatterie, bei der Lithium (Li) als aktives Material in der negativen Elektrode verwendet wird.

Lithium-Ionen-Batterie Oberbegriff für Akkumulatoren auf der Basis von Lithiumverbindungen. Die reaktiven Materialien in der negativen und in der positiven Elektrode sowie im Elektrolyten enthalten Lithiumionen. Li-Ionen-Akkus haben eine höhere spezifische Energie als andere Akkumulatortypen. Durch Tiefentladung oder Überladung verlieren sie Leistung und brauchen deshalb elektronische Schutzschaltungen.

Lithium-Polymer-Batterie Spezielle Bauform des Lithium-Ionen-Akkus, bei der der Elektrolyt als feste bis gelartige Folie auf Polymerbasis vorliegt. Das ermöglicht eine freiere, zum Beispiel besonders flache Gestaltung. Dieser Typ kommt vor allem in Elektrofahrzeugen zum Einsatz.

GEFAHR EINER „BATTERIELÜCKE“

Entscheidend für den Erfolg der E-Welle ist die Verfügbarkeit von Batterien und den darin enthaltenen Rohstoffen. Die Beratungsfirma Roland Berger geht davon aus, dass der weltweite Bedarf an Lithium-Ionen-Batterien bis 2030 weltweit auf 2.800 Gigawattstunden (GWh) steigen wird, rund 30 Prozent davon für die Produktion von E-Autos. Derzeit liegt die Nachfrage bei etwa 390 GWh. Wolfgang Bernhart, Seniorpartner bei der Unternehmensberatung Roland Berger, rechnet mit einem hohen Risiko, „dass wir in eine Batterielücke laufen“. Laut einer Analyse des Center for Automotive Research mit Sitz in Duisburg und Peking werden in den kommenden sechs Jahren weltweit Batteriezellen für fast 15 Millionen Neuwagen fehlen. Grund dafür sind vor allem Engpässe bei Basismaterialien wie Lithium, Kobalt und Nickel. „Für die Automobilindustrie ist ein Zugang zu Rohstoffen, die aus der Kreislaufwirtschaft stammen, existenziell wichtig, denn anders werden sie mittelfristig die eigenen und die gesetzlich vorgegebenen Klimaziele nicht erreichen können“, sagt Elisabeth Gorman.

Die Technologie, die sie mit ihren Kollegen bei Evonik und den Partnern entwickelt, könnte also nicht nur die Nachhaltigkeit der Elektromobilität verbessern. Sie könnte ebenso dazu beitragen, dass sowohl in den Weiten der chilenischen Atacamawüste als auch im australischen Outback weniger Natur dem Lithiumbedarf geopfert wird.