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Wie nachhaltige Landwirtschaft gelingen kann

Die Kooperative produziert in den Sommermonaten unter anderem in großem Stil Tomaten.
Lesedauer 9 min
15. November 2019

Welche Art der Landwirtschaft liefert die besseren Antworten auf die Anforderungen der Welternährung: die ökologische oder die konventionelle? Bioverfechter Dr. Felix Prinz zu Löwenstein über technischen Fortschritt auf dem Acker, nachhaltige Agrarpolitik und die wahren Kosten eines Brathähnchens

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Von Christian Baulig

Journalist und Volkswirt

Jörg Wagner
Von Jörg Wagner

Leiter Externe Kommunikation Evonik

Die Glastürme der Frankfurter Großbanken auf der anderen Mainseite sind in Sichtweite. In gläsernen Gewächshäusern der „Kooperative“ am südlichen Flussufer geht es auch um Wachstum – aber weniger um das von Vermögen als das von Tomaten und Mangold. Auf fünf Hektar produziert hier eine Genossenschaft Gemüse nach Naturland-Vorgaben, ausschließlich zur Eigenversorgung. Fast 500 Bürger aus der Region sind Mitglied und packen teilweise mit an. Hier treffen wir Felix Prinz zu Löwenstein, der selbst einen Biohof in Südhessen betreibt, zum Gespräch.

Die Fridays for Future bringen Hunderttausende auf die Straße, die für den Klimaschutz protestieren – und auch für eine nachhaltigere Ernährung. Erfüllt Sie diese Entwicklung mit Genugtuung?

Auch die Landwirtschaft muss zur Erreichung der Klimaziele beitragen. Das weiß man nicht erst seit Freitag. Allein in Deutschland geht es um 13 Millionen Tonnen weniger Kohlendioxid pro Jahr. Leider fehlt der Politik der Mut, eine wirkliche Änderung herbeizuführen. Wir müssten vor allem den Eintrag von Stickstoff und Nitraten in unsere Ökosysteme reduzieren. Zum Beispiel durch eine deutliche Reduktion der Viehdichte – aber das traut man sich nicht.

Was müsste geschehen, damit Produzenten und Verbraucher ihr Verhalten ändern?

Die politischen Weichen müssen so gestellt werden, dass die Preise für Lebensmittel die wahren Kosten ihrer Erzeugung enthalten. Die Hornspäne, die wir als natürlichen Dünger im ökologischen Landbau einsetzen, kosten beispielsweise drei bis vier € pro Kilogramm Stickstoff. Konventioneller Stickstoffdünger ist schon für ein € das Kilo zu haben. Seine wahren Kosten, etwa durch die Belastung des Grundwassers und der Atmosphäre, liegen allerdings deutlich darüber. Das gleiche Prinzip gilt für chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel. Es wäre aber naiv zu erwarten, dass die breite Masse der Bevölkerung sich die Mühe macht, diese externen Kosten zu durchschauen. Hier ist die Politik gefragt.

In Deutschland soll der Ausstoß von Klimagasen in der Landwirtschaft nach dem Willen der Bundesregierung künftig bepreist werden…

Ja, mit zehn € pro Tonne. Das ist ein Witz.

Welches wären denn die wirkungsvollsten Hebel, die jetzt umgelegt werden müssten?

In Europa müsste die Gemeinsame Agrarpolitik umgebaut werden. Sie verteilt jährlich 55 Milliarden € an die landwirtschaftlichen Betriebe, das sind 16 Prozent von deren Bruttowertschöpfung. Bei Evonik würde ein so bedeutender Geldgeber Einfluss auf die Firmenpolitik ausüben. Bei der Landwirtschaft bestimmt die Europäische Union die Firmenpolitik aber nicht mit. Stattdessen werden 80 Prozent der Mittel mit der Gießkanne je Hektar bewirtschaftete Fläche verteilt. Das Geld muss aber dafür verwendet werden, Bäuerinnen und Bauern für Leistungen zu bezahlen, die die Gesellschaft von ihnen benötigt, die ihnen der Markt jedoch nicht bezahlt.

Zum Beispiel den Erhalt fruchtbarer Böden?

Genau. Der zweite Hebel ist die Handelspolitik der EU. Die neue Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat gerade gesagt, sie könne sich vorstellen, an den Außengrenzen Einfuhrzölle zu erheben, um Unterschiede bei der Umweltwirkung von Produkten auszugleichen. Ein guter Vorschlag, der zudem mit den Regeln der Welthandelsorganisation WTO konform wäre. Damit würde unter anderem Soja teurer, mit dem wir jede Menge Stickstoffemissionen aus Übersee importieren. Der dritte Hebel ist die Weiterentwicklung der ökologischen Landwirtschaft: Wir müssen diesen Pfad besser erforschen, damit er zum Weg für alle werden kann.

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Felix Prinz zu Löwenstein (63) ist Vorsitzender des Bunds Ökologischer Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). Nach Studium und Promotion arbeitete der Agrarwissenschaftler zunächst in der Entwicklungshilfe. Später übernahm er das Familiengut im hessischen Otzberg-Habitzheim, das er auf Biolandbau umstellte. Er veröffentlichte die Bücher „Food Crash“ (2011) und „Es ist genug da. Für alle“ (2015), in denen er die industrielle Landwirtschaft kritisiert.

Ende 2017 wurden weltweit knapp 70 Millionen Hektar Land ökologisch bewirtschaftet. Laut dem Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) und der Bio-Weltorganisation IFOAM entspricht das rund 1,4 Prozent der gesamten Agrarfläche. Der Anteil wuchs zuletzt um 20 Prozent pro Jahr. Die größten Bioflächen liegen in Australien (35,6 Millionen Hektar), Argentinien (3,4 Millionen Hektar) und China (3,0 Millionen Hektar). Ökologisch wirtschaftende Betriebe verpflichten sich, im Ackerbau weitgehend auf synthetische Pflanzenschutzmittel, Mineraldünger und grüne Gentechnik zu verzichten. In der Viehzucht sind manche Futtermittel verboten, außerdem gelten höhere Mindestanforderungen beim Platzangebot für Tiere. Bevor ein Betrieb seine Erzeugnisse als „bio“ vermarkten darf, muss er in der Regel eine mehrjährige Umstellungsphase durchlaufen. In der Europäischen Union ist der Begriff „bio“ durch die EG-Öko-Verordnung geschützt, seit 2010 können entsprechend erzeugte Produkte mit dem EU-Bio-Siegel ausgezeichnet werden. In den USA müssen Produkte durchs Landwirtschaftsministerium zertifiziert werden, bevor sie das Label „organic“ tragen dürfen.

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Quelle: FiBL-IFOAM-SOEL-Surveys 1999–2019

Landwirtschaft hat 2050 wohl mehr als neun Milliarden Menschen auf der Erde zu versorgen. Müssen wir angesichts dieser Herausforderung nicht stärker auf hocheffiziente Massenproduktion setzen?

Natürlich sollten wir möglichst viel erzeugen. Aber nicht so, dass wir die Grundlagen für die Produktion zerstören. Die Biodiversität ist die Grundlage der pflanzlichen Produktion. Wenn wir die vernichten, nützt es uns nichts, dass wir zuvor hohe Erträge erzielt haben. Gleiches gilt für die Bodenfruchtbarkeit oder die Stabilität des Klimas. Brenne ich einen Haufen Stroh ab, ist mir für eine gewisse Zeit mollig warm, ist das Stroh dann abgebrannt, wird mir aber auch schnell kalt.

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Prinz zu Löwenstein im Gespräch mit den ELEMENTS-Redakteuren Christian Baulig (l.) und Jörg Wagner.

Der Ökolandbau bietet gute Lösungen, verbraucht aber viel Fläche. Wollte man sämtliche Masthähnchen, die in Deutschland gezüchtet werden, nach Ökolandbau-Regeln aufziehen, wäre halb Hessen ein Freiluftgehege. Ist das in Ihrem Sinne?

Diese simple Gleichung, wenn wir überall öko machen, würden wir weniger erzeugen, deshalb brauchen wir mehr Fläche und ackern noch das letzte Naturschutzgebiet um, bekomme ich ganz oft aufgemacht – von Leuten, die in Marktlehre nicht aufgepasst haben und nicht wissen, dass veränderte Preise das Konsumverhalten verändern. Das gilt vor allem für Fleisch, wofür der größte Flächenanteil verwendet wird. Die Behauptung, auf großen Flächen könne dank „economies of scale“ mehr produziert werden als auf kleinen, stimmt so auch nicht. Mit intelligenter kleinbäuerlicher Landwirtschaft können Sie heute produktiver arbeiten als in einem Großbetrieb. Zwischen 50 und 70 Prozent aller landwirtschaftlichen Güter weltweit werden auf Höfen mit weniger als zwei Hektar produziert. Gerade in Entwicklungsländern können die Bauern solche Flächen viel intensiver bewirtschaften als die Großflächenlandwirtschaft, die sie oft verdrängt und auf den Feldern anschließend Futtergetreide anbaut statt Lebensmittel.

Viele Menschen greifen im Supermarktregal zu konventionell erzeugten Produkten, weil sie meist billiger sind als die Ökoalternative…

Ja, weil die Preise lügen und der Großteil der Kosten auf der Allgemeinheit oder künftigen Generationen abgeladen wird. Wir können uns aber nicht leisten, Sozialpolitik auf Kosten der Umwelt zu machen. Es wäre kurzsichtig, Landwirtschaft wie bisher zu betreiben, damit arme Leute mehr Fleisch essen können. Denen wäre mehr geholfen, wenn wir nicht mehr auf dem Weg in den Laden 20 Prozent und bis zum Konsum weitere 30 Prozent Verlust hätten. Unter den Folgen der Umweltschäden leiden Arme schon heute stärker als Reiche.

Trotzdem empfinden manche Menschen den Appell, mehr Ökolebensmittel zu kaufen, als elitär. Ein Biohuhn schmeckt lecker, kostet aber auch 20 €.

Wenn wir davon ausgehen, dass unser Lebensmittelbudget begrenzt ist, müssen wir unseren Fleischkonsum eben deutlich verringern. Dass die Umstellung bei einem fixen Kostenrahmen funktioniert, zeigt ein Projekt in Dänemark: Kopenhagen hat sämtlichen öffentlichen Kantinen eine Bioquote von 90 Prozent verordnet – und dieses Ziel auch erreicht. Die Gäste werden satt, aber es kommt weniger Fleisch auf den Teller, und es wird weniger weggeworfen. Sie sehen, es geht bei dieser Diskussion nicht nur um Produktivität.

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Prinz zu Löwenstein fordert, Bauern stärker für nachhaltiges Wirtschaften zu belohnen.

Mehrere Start-ups haben damit begonnen, Fleisch aus Zellen von Hühnern, Rindern oder Schweinen zu züchten. Kann diese Technologie die Probleme lösen helfen, die der Fleischkonsum mit sich bringt?

Es wäre zu klären, woher die Nährlösung kommt und die nötige Energie. Mag sein, dass diese Methode effizienter ist als die Hühnermast und dass ein Chicken-Nugget irgendwann nicht mehr 8.000 € kostet.

Es sind schon heute weniger als 100 $

Ich bin dennoch skeptisch – und diese Skepsis betrifft auch Indoor-Produktionsanlagen, in denen Gemüse keimfrei unter Kunstlicht wächst. Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Boden und der Qualität dessen, was darauf erzeugt wird. Winzer bezeichnen das als „Terroir“. Vor 10.000 Jahren haben wir mit Ackerbau und Viehzucht angefangen und uns seither gemeinsam mit unseren Lebensmitteln weiterent­wickelt. Doch noch nie haben wir unsere Ernährung so stark verändert wie in den vergangenen fünf Jahrzehnten. Viele Probleme um uns herum haben wir der Tatsache zu verdanken, dass wir uns möglichst weit von natürlichen Zusammenhängen entfernt haben. Es könnte also klug sein, sich wieder mehr an natürlichen Systemen und ihren Funktionsweisen zu orientieren.

Selbst wenn wir uns nur noch bio ernähren wollten, würde es viele Jahre dauern, die Landwirtschaft umzustellen. Sollten wir nicht alles daransetzen, die konventionelle Erzeugung von Nahrungsmitteln so nachhaltig wie möglich zu gestalten?

Selbstverständlich müssen wir die Landwirtschaft so umbauen, dass sie weniger Schäden verursacht als heute. Wir sollten zum Beispiel nicht akzeptieren, dass jedes Schwein heute mindestens einmal in seinem Leben Antibiotika erhält. Wir müssen dafür sorgen, dass ein Huhn wieder wie ein Huhn behandelt wird und nicht wie ein Fabrikprodukt. Wir brauchen stabile Systeme, die nicht ständig auf Eingriffe von außen angewiesen sind. Der philippinische Kleinbauer, der auf einem Hektar 90 verschiedene Pflanzen anbaut, hat ein komplett stabiles System. Davon können wir viel lernen.

»In 15 Jahren brauchen wir keine Chemie mehr zur Unkrautbeseitigung.«

Technologien wie Precision Farming, die von der Industrie vorangetrieben werden, kommen der ökologischen Landwirtschaft ebenso zugute wie der konventionellen.

Das stimmt zum Teil. Tatsächlich entwickelt sich die Landtechnik gerade dank Digitalisierung rasant weiter. Ich wette, dass wir in 15 Jahren dank verbesserter mechanischer Methoden keine Chemie mehr zur Unkrautbeseitigung auf dem Acker benötigen. Dieses Thema interessiert mich auch ganz persönlich für unsere Kräuter- und Heilpflanzenzucht – die muss komplett unkrautfrei sein. Wer Ringelblumen für Pflegeprodukte haben möchte, will keinen Klatschmohn dabeihaben.

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Mehr Gemüse, weniger Fleisch: Viele Biobetriebe werben für ein Umdenken bei der Ernährung.

Die Menschheit erweist sich beim Umweltschutz als lernfähig. Zum Beispiel hat sich das Ozonloch durch das Verbot von FCKW wieder verkleinert. Haben Sie Hoffnung, dass wir bei der Ernährung auch etwas bewegen können?

Wir müssen die Rahmenbedingungen so setzen, dass niemand mehr auf Kosten der Allgemeinheit billige Produkte herstellen darf. Es bewegt sich ja schon was: Der Umsatz mit ökologisch erzeugten Lebensmitteln wächst Jahr für Jahr um bis zu zehn Prozent. Und vor zehn Jahren hätte man wohl auch noch nicht ausreichend viele Familien gefunden, um in Frankfurt eine Gemüsekooperative zu gründen.

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Die ersten Tomatenpflanzen sind im Frühherbst bereits gerodet. Im Hintergrund wachsen Wintergemüse wie Mangold.