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Nobelpreis: Chemie fängt flüchtiges Kohlendioxid

Lesedauer 5 min
10. Dezember 2025

Der Nobelpreis für Chemie geht in diesem Jahr an drei Wissenschaftler aus drei Generationen und drei Kulturkreisen, die außerdem noch miteinander befreundet sind. Susumu Kitagawa, Richard Robson und Omar Yaghi waren maßgeblich an der Entwicklung der sogenannten MOF beteiligt, mit denen - unter anderem - große Hoffnungen im Kampf gegen den Klimawandel verbunden sind.

Alternativbild
Von Christoph Bauer

Redakteur und Textchef der ELEMENTS

MOF steht für „metal–organic frameworks“. Dies sind winzige Strukturen, bei denen Metall-Ionen mit organischem Material verbunden sind. Die metallischen Bestandteile bilden die Ecksteine, die organischen Molekülketten die Verbindungen dazwischen. Zusammen ergeben sie eine poröse Struktur, die je nach eingesetzten Materialien völlig unterschiedliche Funktionen haben kann. 

Gemein haben MOF, dass sie aufgrund ihrer Struktur auf kleinem Raum große Mengen an Stoffen aufnehmen und wieder abgeben können. Sie können zudem chemische Reaktionen vorantreiben und sogar Strom erzeugen. Heiner Linke, Vorsitzender des Nobelkomitees für Chemie, würdigt die Entwicklung: „Metall-organische Gerüste haben enormes Potenzial und bieten zuvor unvorhergesehene Möglichkeiten für maßgeschneiderte Materialien mit neuen Funktionen.“

Ein quadratisches Würfelhäuschen mit vier Kammern, in das stilisierte Moleküle einziehen.
Gezeichnete Portraits der drei Preisräger
Richard Robson, Omar Yaghi and Susumu Kitagawa (v.l.) erhalten 2025 gemeinsam den Chemie-Nobelpreis für ihre Entwicklung der Metall-organischen Gerüststrukturen (MOFs).

Die ersten Schritte

Die ersten Schritte zu ihrer Entwicklung unternahm Richard Robson, 1937 in Großbritannien geboren und heute Professor an der Universität von Melbourne in Australien. Er begann 1989 positiv geladene Kupfer-Ionen mit einem vierarmigen Molekül zu kombinieren, das an jedem Arm eine chemische Gruppe hatte, die zu den Kupfer-Ionen hingezogen wurde. Die Stoffe verbanden sich zu einem gut geordneten, geräumigen Kristall. Der Festkörper war wie ein Diamant, der mit unzähligen Hohlräumen gefüllt war. Robson erkannte das Potenzial seiner Entdeckung, doch sie war noch instabil.

Richard Robson mit einer MOF-Struktur aus Kugeln und Stäben.

Der 1951 geborene Japaner Susumu Kitagawa und der 1965 als Sohn palästinensischer Flüchtlinge in Jordanien geborene Omar M. Yaghi entwickelten in den Jahren 1992 bis 2003 Robsons Entdeckung weiter.

Kitagawa, Professor in seiner Geburtsstadt Kyoto, bewies, dass die MOF Gase aufnehmen und abgeben können. Er sagte außerdem voraus, dass sie auch flexibel herzustellen seien.

Yaghi, heute Professor an der Universität in Berkeley, Kalifornien, erstellte hochstabile MOF. Er zeigte, dass sie durch rationales Design modifiziert werden können, um ihnen neue und wünschenswerte Eigenschaften zu verleihen.

Diese Grundlagenforschung ermöglichte es Chemikern weltweit, Tausende von unterschiedlichen MOF herzustellen, die in der Lage sind, große Probleme der Menschheit zu bewältigen. Das Nobelpreis-Komitee nennt etwa das Abscheiden der sogenannten Ewigkeitschemikalien PFAS aus Wasser, den Abbau von Spuren von Arzneimitteln in der Umwelt, die Abscheidung von Kohlendioxid oder die Gewinnung von Wasser sogar aus Wüstenluft. 

Portrait Susumu Kitagawa

In einem Statement zählte Omar M. Yaghi bereits im vergangenen Jahr die Abscheidung der Klimagase CO2 und Methan sowie die Gewinnung von sauberem Wasser aus der Luft zu den wichtigen Einsatzgebieten für die MOF.

In einer Kooperation an der Universität von Berkeley kommt nun Künstliche Intelligenz zum Einsatz, um die Strukturen der MOF zu designen. Yaghi erwartet, dass Forschungen, die früher Jahre dauerten, jetzt in Wochen zu schaffen seien. Er sieht die Forschung hier in einem Wettrennen mit den drängendsten Problemen unserer Zeit: der Klimaerwärmung und dem Wassermangel.

Omar M. Yaghi in seinem Labor in Berkely, Kalifornien.

MOF

Was können die MOF, für die es 2025 den Nobelpreis gab? Ein kurzes Video stellt einige Beispiele vor.
Das MOF Mg-MOF-74 mit CO2-Molekülen

Kohlendioxid aus heißen Abgasen

Aufhorchen ließ in diesem Jahr eine Veröffentlichung im Wissenschaftsmagazin „Science“. In Berkeley ist es gelungen, ein MOF zu entwickeln, das Kohlendioxid auch bei hohen Temperaturen aus Industrieabgasen abscheiden kann und dafür immer wieder einsetzbar ist. Bei der bisher vorherrschenden Methode wird Kohlenstoff mit flüssigen Aminen aus Kraftwerks- oder Industrieabgasen abgeschieden. Diese Reaktion funktioniert jedoch nur bei Temperaturen zwischen 40 und 60 Grad Celsius. Die neue Methode mit MOF funktioniert auch zwischen 200 und 500 Grad Celsius - also genau in einem Bereich, den viele Abgase aus der Industrie haben. Das Kohlendioxid wird gleichsam in den Strukturen gefangen und kann daraus dann abgesaugt, genutzt oder deponiert werden. Die neuentwickelten MOF sind anschließend wieder einsatzfähig. Diese Technik könnte in Zement-, Stahl- und Chemiewerken eingesetzt werden.

„Es ist eine kostspielige Infrastruktur erforderlich, um diese heißen Gasströme auf die entsprechenden Temperaturen zu kühlen, damit die bestehenden Technologien zur Kohlenstoffabscheidung funktionieren", zitiert „Science“ Kurtis Carsch, einen der beiden Erstautoren der Studie und Postdoktorand an der Uni in Berkeley. „Unsere Entdeckung wird die Art und Weise, wie Wissenschaftler über Kohlenstoffabscheidung denken, verändern. Wir haben herausgefunden, dass ein MOF Kohlendioxid bei noch nie dagewesenen Temperaturen abscheiden kann - Temperaturen, die für viele CO2-emittierende Prozesse relevant sind. Das war etwas, was man bisher für ein poröses Material nicht für möglich gehalten hat."

Das Material besteht aus einer porösen, kristallinen Anordnung von Metallionen und organischen Verbindungselementen mit einer inneren Fläche, die etwa sechs Fußballfeldern pro Esslöffel entspricht.

Flüssiger Stahl fließt aus einer Thomas-Birne.

Auch im Chemiepark Marl: Kohlendioxid als Rohstoff

Doch auch in Deutschland werden neue Methoden zu Abscheidung des Klimagases Kohlendioxid entwickelt. Auf dem Gelände des Chemieparks Marl, der zu Evonik gehört, plant das Start-Up Greenlyte Carbon Technologies den Bau einer Anlage zur CO2-neutralen Produktion von eMethanol aus der Luft. Die drei Greenlyte-Geschäftsführer Florian Hildebrand (35), Martin Schmickler (32) und Niklas Friederichsen (37) haben über 45 Millionen Euro Wagniskapital und Fördermittel eingesammelt. Die Pilotanlage steht ebenfalls im Ruhrgebiet auf dem Gelände des Zentrums für Brennstoffzellentechnik in Duisburg.

Ein Gruppenbild

Ziel ist die Herstellung synthetischer Kraftstoffe aus dem aus der Luft abgeschiedenen CO2 und dem im gleichen Prozess erzeugten Wasserstoff. Beides wird mit grüner Energie produziert. Markenname: „Liquid Solar“. Das aus einem Spin-Off der RWTH Aachen und der Universität Duisburg-Essen (UDE) entstandene Unternehmen arbeitet bereits seit 17 Jahren an dieser Technologie. Es basiert auf der Arbeit und den Patenten des Wissenschaftlers Peter Behr von der UDE.

Portrait Florian Hildebrand

»Die Dekarbonisierung von Luft- und Schifffahrt ist ohne skalierbare E-Fuels nicht denkbar. Greenlyte liefert durch LiquidSolar die essenziellen, grünen Moleküle dafür. Unser Projekt im Chemiepark Marl zeigt, wie wir diese kritische Wertschöpfungskette jetzt in Deutschland industriell skalieren können.«

Florian Hildebrand CEO und Mitgründer Greenlyte

Dabei wird Luft an einer nicht giftigen wasserbasierten Flüssigkeit vorbeigeführt. Das Kohlendioxid, also CO2, verbindet sich mit der Flüssigkeit und bildet Bicarbonat, HCO₃-. Dafür sind weder Hitze, Druck oder toxische Stoffe notwendig. Das gebundene Kohlendioxid kann gesammelt und aufbewahrt werden, bis grüner Strom, etwa auf der Überproduktion von Photovoltaik- oder Windkraftanlagen, zur Verfügung steht. Dann werden Kohlenstoff und Wasserstoff durch eine Elektrolyse verbunden und können als Basis für sogenannte e-Fuels eingesetzt werden. Kunden könnten etwa Reedereien oder Fluggesellschaften sein, die ihre Mobilität nicht einfach auf batteriebetriebene Systeme umstellen können. Die Reaktionsflüssigkeit, das Absorbens, kann anschließend in den Kreislauf zurückgeführt werden.

Portrait Thomas Basten

»Die Produktionsanlage von Greenlyte ist für den Chemiepark Marl ein willkommener weiterer Schritt auf dem Weg, seinen Wasserstoffhub weiter auszubauen.«

Thomas basten Standortleiter des Chemieparks Marl

2027 soll die Anlage im Chemiepark Marl in Betrieb gehen und E-Methanol produzieren. Ihre Kapazität ist auf das Dreißigfache der Duisburger Pilotanlage konzipiert. Mit deren Hilfe sollen pro Jahr bis zu 1.400 Tonnen Kohlendioxid aus der Umgebungsluft abgeschieden werden. In einem integrierten Prozess entstehen zusätzlich circa 200 Tonnen grüner Wasserstoff. In einem Folgeschritt werden die im Prozess entstehenden Moleküle – grüner Wasserstoff und grünes Kohlendioxid - zu bis zu 1.000 Tonnen grünem eMethanol pro Jahr synthetisiert.

Für 2028 ist eine Anlage auf dem internationalen Flughafen in Düsseldorf geplant, die 150 Tonnen Flugkraftstoff pro Jahr herstellen soll. 2030 soll eine Großanlage in Nordafrika oder Südspanien entstehen, wo Wind und Sonne noch höhere Erträge versprechen.

Die MOF der Nobelpreisträger kommen sogar ohne große Energiemengen aus. Sie sind also eine große Chance für Industrien, die ihre CO2-Emmissionen nicht auf Null senken können, Teil einer klimaneutralen Wirtschaft zu sein.

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